Jörg Förster steht für die Duale Karriere wie kein anderer. Der Vorstandsvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbands (ADH) war 2003 der erste Spitzensportbeauftragte an einer deutschen Hochschule und hat am Hochschulstandort Hamburg ein Programm mit eingeführt, das seit 1999 bundesweit studierende Spitzensportler*innen dabei unterstützt, Leistungssport und Studium gleichzeitig zu meistern. Im Interview erzählt er, warum andere Länder Deutschland an manchen Stellen dennoch voraus sind und stellt eine klare Forderung an den Spitzensport.
Herr Förster, wird für Spitzensportler*innen an deutschen Universitäten genuggetan, um ihre Erfolgschancen zu optimieren?
In Ländern wie Rumänien, Portugal oder Frankreich werden Athlet*innen ganz anders wertgeschätzt. Dort ist sportlicher Erfolg ein Gratifikationskriterium und erhöht maximal den gesellschaftlichen Status. Die Hochschulen sind stolz auf ihre Athlet*innen und diese haben somit weniger Probleme mit der Dualen Karriere. In Deutschland gibt es keine Hall of Fame an den Hochschulen, die ihre Sportler*innen als besondere Aushängeschilder, auch nach dem akademischen Abschluss, betrachtet. Wir haben in Deutschland auch an den Hochschulen ein eher kritisches Verhältnis gegenüber Spitzensport und dadurch entstehen andere Rahmenbedingungen. Es gibt inzwischen einige Länder, die den EU Guidelines for Dual Career aus dem Jahr 2012 folgend ein Programm aufgelegt haben, das einen gesetzlichen Rahmen für Hochschulen schafft, sportförderlich zu handeln. Von Asien möchte ich an dieser Stelle erst gar nicht sprechen, da die Athlet*innen dort ganz anders als Leistungsträger*innen und politische Darsteller*innen einer Gesellschaftsform gesehen werden.
Sie waren lange beim ,,European Athlete as Student Network“ tätig, das sich international für die Duale Karriere einsetzt. Haben Sie dadurch einen guten Blick auf die dualen Karrierechancen in den USA bekommen und wenn ja, wie würden Sie diese mit Deutschland vergleichen?
Die Sportsysteme sind sehr unterschiedlich. Das klassische Vereinssystem wie in Deutschland mit dem Sport als unabhängiges System neben den anderen Systemen der Gesellschaft ist einzigartig. Im angloamerikanischen Raum ist der Sport Teil des Bildungssystems. Dies birgt sicherlich auch negative Aspekte. Die Kommerzialisierung der National Collegiate Athletic Association ist das Paradebeispiel für die Kommerzialisierung des Menschen. Der geförderte Bildungsabschluss ist eine Ware, für die ich meinen Körper und meine Leistung zur Verfügung stelle. Durch gute sportliche Leistung besteht die Chance auf ein Stipendium, für das andere Studierende hohe Gebühren zahlen müssen. Im Gegenzug dazu verkauft man aber alle Werberechte an das System, Leistungssportler*innen werden zum Humankapital der Hochschulen.
Das Thema Duale Karriere ist aber auch in Deutschland schon lange angekommen. Wenn man schaut, wie viele der Athlet*innen bei den Olympischen Spielen eine akademische Ausbildung haben, wird die Quote nun über 60 Prozent sein. Das liegt in manchen Sportarten auch daran, dass das Hochleistungsalter sich erhöht hat. Man braucht also länger, um in die Medaillenränge zu kommen und ist nicht mit 22 Jahren fertig mit dem Spitzensport, um sich dann auf die berufliche Karriere zu fokussieren. Auch deswegen ist es umso wichtiger, dass Programme wie „Partnerhochschulen des Spitzensports“ existieren, damit die Sportler*innen danach in das Berufsleben starten können. Übrigens weisen Studien nach, dass sich bei einer Dualen Karriere beide Bereiche gegenseitig durchaus positiv beeinflussen.
Können Sie erläutern, wie es damals zur Einführung dieses Programms kam?
1999 haben sich der ADH und der Deutsche Leichtathletik-Verband Gedanken darüber gemacht, wie Spitzensportler*innen gefördert werden können. Die Förderung war in den Studienordnungen nicht vorgesehen und studierende Spitzensportler*innen galten nicht als Gruppe mit besonderem Förderungsbedarf. Ziel war es, analog zu den Eliteschulen des Sports die Hochschulen dazu zu motivieren und zu verpflichten, studierende Spitzensportler*innen zu unterstützen. Diese Vereinbarung wurde dann in einem Vertrag mit dem Namen „Partnerhochschulen des Spitzensports“ festgehalten. Die Grundidee hierbei war es, ein einheitliches Vertragswerk zu schaffen, in dem bestimmte Unterstützungsleistungen enthalten sind. Getragen wird das Programm durch Partner*innen vor Ort, wie den Olympiastützpunkten mit ihren Laufbahnberater*innen oder den Studierendenwerken, die fallweise spezielles Essen oder Wohnheimplätze anbieten. Dieses Vertragswerk ist dann relativ schnell gewachsen und hat sich inhaltlich immer wieder den Erfordernissen der Dualen Karriere angepasst.
Welchen Aufgaben widmen Sie sich in Bezug auf das Programm „Partnerhochschulen des Spitzensports“?
In den vergangenen 21 Jahren habe ich mich in meinen verschiedenen Rollen in unterschiedlicher Art damit beschäftigt. Zu Beginn habe ich unmittelbar Sportler*innen betreut und mittlerweile bin ich eher für das Lobbying und die Sportpolitik gegenüber anderen Institutionen zuständig. Ich bin Ansprechpartner des ADH gegenüber Partnern, wie dem Bundesinnenministerium und anderen Gremien in Politik und Sport.
Es gibt aktuell ca. 1.200 Spitzensportler*innen an deutschen Hochschulen. Wie kann man sich eine individuelle Betreuung vorstellen?
Nicht alle studierenden Spitzensportler*innen sind an ihrer Hochschule bekannt, da sie nicht alle die Hilfe in Anspruch nehmen. Im Normalfall läuft es so ab, dass die Olympiastützpunkte den Ansprechpartner*innen an der jeweiligen Hochschule melden, wie viele Spitzensportler*innen in welchen Fächern an der Hochschule eingeschrieben sind. Da es eine Vielzahl an unterschiedlichen Fächern gibt, benötigt es auch immer unterschiedliche Ansprechpersonen, was eine Herausforderung sein kann.
Die Betreuung sieht in der Regel so aus, dass die Laufbahnberater*innen der Olympiastützpunkte die Hauptaufgabe übernehmen. Sie planen die optimale Verbindung von Spitzensport und Studium. Das wird dann häufig auch von Mentor*innen, Studierendenberatungen und Tutor*innen an den Hochschulen begleitet. Die Spitzensportler*innen wenden sich mit ihrem Problem direkt an die Ansprechperson vor Ort. Der Klassiker ist, dass ein Trainingslager stattfindet und zeitgleich eine Klausur geschrieben werden muss. Durch die COVID-19-Pandemie hat es hier aber eine steile Lernkurve gegeben, so dass die Flexibilisierung nicht mehr nur ein Thema für studierende Spitzensportler*innen ist. Die Verteidigung der Bachelor-Thesis findet für Studierende im Rahmen meiner Lehrtätigkeit an der Hochschule Wismar beispielsweise vorwiegend online statt.
Sie haben gesagt, dass Sie mit dem Bundesinnenministerium im Kontakt stehen. Gibt es Punkte, bei denen Sie sich von der Politik mehr Unterstützung wünschen würden?
Es wäre natürlich gut, wenn es auch von künftigen Bundesministerien und entsprechenden Fachbehörden ein Engagement für das Thema gibt. Dass sich das Bundesministerium des Innern und für Heimat engagiert, ist klar, da dies systemimmanent durch die Verantwortung für den Leistungssport ist. Von Ministerin Stark-Watzinger haben wir in ihrer Zeit im Wissenschaftsministerium aber gar nichts dazu gehört.
Es gibt natürlich auch schon Erklärungen aus dem Sportausschuss des Bundestags oder der Hochschulrektorenkonferenz. Mit den FISU World University Games haben wir auch direkt vor Ort eine Veranstaltung, die wie keine andere für die Duale Karriere steht. Die Unterstützung liegt zum Beispiel darin, dass wir Mittel zur wissenschaftlichen Untersuchung der Dualen Karriere bereitgestellt bekommen. Es gab vor vielen Jahren schon Studien dazu, diese sind aber veraltet und auch wegen den Veränderungen in den vergangenen Jahren muss das Bedingungsgefüge für die Duale Karriere von heute untersucht werden. Dadurch kann ermittelt werden, was möglicherweise künftig politisch gemacht werden muss.
Und zwar?
Eine stärker individualisierte Betreuung. Wenn man Personen wie mich braucht, die an Hochschulen als Türöffner*innen und Problemlöser*innen für die Athlet*innen dienen können, dann müssen diese Stellen auch finanziert werden. Diese Stelle ist erst einmal nicht etatisiert an Hochschulen und insofern ist das ein Thema in der Diskussion mit der Politik.
Wie wird das Programm evaluiert? Wie wird überprüft, ob Vertragsinhalte eingehalten werden und gibt es Konsequenzen, wenn nicht?
Evaluiert wird bisher leider nicht wirklich, da die Mittel hierfür fehlen. Wenn im Einzelfall Probleme entstehen, suchen wir den Austausch mit den jeweiligen Ansprechpartner*innen. Aber zum Glück ist das noch nicht oft vorgekommen. Es gibt natürlich immer Fälle, die auch in den Medien kritisch dramatisiert werden, aber man muss immer schauen, woran solche Dinge scheitern. Wenn man den nötigen Planungsvorlauf einhält, kommt es immer seltener vor, dass etwas nicht funktioniert. Manchmal sind die Erwartungen an Flexibilität von solchen, formal sehr starren Konstrukten an den Hochschulen eben limitiert und es lässt sich nicht jeder Wunsch erfüllen, wo es dann direkt heißt, das ganze Programm funktioniert nicht. Einzelfälle lassen sich bei der hohen Anzahl an Studienabsolvent*innen nicht ausschließen und man muss dann schauen, was genau nicht funktioniert. Eine Schwäche dieses Vertragswerkes ist aber tatsächlich, dass wir kein Kontrollsystem mit Sanktionen haben.
In welchen Bereichen der Förderung sehen Sie noch Optimierungsbedarf?
Im Vergleich zu den Studienplätzen im Bachelor gibt es im Master deutlich weniger Plätze. Auch wenn der Nachteilsausgleich bei Studienplätzen mit Qualifikationsnote immer noch ein Thema ist, gibt es in den meisten Bundesländern mittlerweile einen bestimmten Anteil an Studienplätzen, die sogenannte Profilquote, die für Spitzensportler*innen vorgehalten werden. Das gilt aber nur für die grundständigen Studiengänge im Bachelor und nicht im Master, weshalb es als Spitzensportler*in häufig schwer ist, einen Masterplatz zu bekommen. Für die zentral vergebenen Studiengänge Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie gibt es noch keine befriedigende Lösung, weil Spitzensportler*innen eben auf die Zuweisung an einen bestimmten Studienstandort angewiesen sind.
Tatsächlich sehe ich aber eine zentrale Herausforderung im Sportsystem selbst. Ein Problem ist, dass in den Zielvereinbarungen der Trainer*innen in der Regel nichts zur Dualen Karriere steht. Da der eigene Beruf von der Platzierung abhängt, ist es für die Trainer*innen in diesem Zeitraum erst einmal nicht relevant, ob die Sportler*innen dort eine Klausur bestehen oder nicht. Zudem fehlt es im Sport auch häufig an Flexibilität.
Ein Beispiel hierfür sind traditionelle Trainingslager, die seit Jahren immer zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden und immer mit den gleichen Klausurenphasen kollidieren. Man hat es fallweise nicht geschafft, solche Trainingslager nur um eine Woche zu verlegen, um diese Terminkollision zu vermeiden.
Das Bildungssystem hat sich dagegen in den vergangenen Jahren stark flexibilisiert und studierende Spitzensportler*innen werden als Studiengruppe mit besonderem Bedarf anerkannt. Trotzdem gibt es gewisse Dinge, die sich nicht verlegen lassen. Den Schlüpfzyklus der Fruchtfliege kann man nicht verlegen, ein Trainingslager unter Umständen schon. Die These, dass Sportler*innen mit hohem Trainingsaufwand nicht Medizin studieren können, halte ich für längst widerlegt, was Absolvent*innen in den letzten 20 Jahren beweisen. Dafür muss der Sport nur eben genau so flexibel werden wie die Hochschulen und das Bildungswesen.
Sie haben vorher schon ein paar Punkte angesprochen, aber welche Entwicklungen wünschen Sie sich in Zukunft noch, um eine bessere Förderung zu gewährleisten?
Es ist wichtig, dass bei der Berichterstattung über Sportler*innen nicht nur berichtet wird, wie schnell die Person ist bzw. welche Leistungen sie in ihrem Sport erbringen.
Über was soll noch berichtet werden?
Es muss auch erzählt werden, welchem Studiengang an welcher Universität nachgegangen wird, da das im Endeffekt dazu führt, dass die Hochschulen eine andere öffentliche Wahrnehmung bekommen. Die meisten glauben, Spitzensportler*innen verdienen viel Geld und reisen viel, das ist aber in der Regel nicht so. Die Verknüpfung der sportlichen Leistung mit dem Erfolg einer Dualen Karriere ist wichtig, um diese auch in Zukunft besser auszugestalten.
Hauptsächlich muss die öffentliche Meinung darauf gelenkt werden, dass die Duale Karriere eine besondere Leistung ist, die ein Engagement von vielen Beteiligten benötigt. Ich würde mir auch wünschen, dass der organisierte Sport die Leistung dieses Vertragswerkes stärker anerkennt und einen konstruktiven Beitrag zu dessen Gelingen leistet.
Das Interview wurde geführt von Nikolas Hajdu