Die Duale Karriere in den USA: zwei studierende Leichtathleten im Doppelinterview
Zum Start ins neue Jahr haben sich Lorenz Herrmann (800m-Läufer) und Jenna Fee Feyerabend (Mehrkämpferin) Zeit genommen, um über ihre Duale Karriere in den USA zu sprechen. Beide leben seit mehreren Jahren im Ausland und schaffen es Tag für Tag, Studium und Spitzensport erfolgreich miteinander zu verbinden. Im Interview teilen sie ihre Erfahrungen, geben Tipps und wollen vor allem informieren. Dabei gehen sie auch auf die Herausforderungen einer Dualen Karriere in Deutschland und die damit verbundenen Unterschiede im Vergleich zu den USA ein.
Jenna Fee Feyerabend ist 23 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Groß-Gerau (Hessen). Im Jahr 2021 ging sie nach San Diego und studiert dort Journalismus.
Lorenz Herrmann ist in Landau in der Pfalz aufgewachsen und 24 Jahre alt. Ihn zog es 2020 an die Universität in Idaho, an der er bereits sein Bachelor-Studium in Operations Management abgeschlossen hat und gerade einen Master-Studiengang in Umweltwissenschaften belegt.
Welche Unterschiede können Sie feststellen, wenn Sie die Dualen Karrieren in Deutschland und den USA vergleichen?
Feyerabend: Wenn ich mich mit meinen Freunden zu Hause vergleiche, ist einfach diese Sicherheit und die Konstanz der Förderung in Deutschland nicht die gleiche. Jedes Jahr stehst du wieder vor derselben Frage: Werde ich gefördert? Werde ich Sponsoren finden? Gibt es Menschen in meinem Umfeld, die mich aus gutem Willen unterstützen wollen? Anders ist es hier in den USA. Ich hatte noch nie Angst davor, nicht über die Runden zu kommen.
Herr Herrmann, Sie haben sich 2020 zur Hochzeit von Corona dazu entschieden, in die USA zu gehen. Hatten Sie keine Zweifel?
Herrmann: Da waren am Anfang natürlich schon Zweifel, ob man so weit weg gehen sollte in so einer schwierigen Zeit, in der man nicht wusste, wie das alles ausgeht. Ich habe mich letztlich doch entschieden hinzugehen, was im Nachhinein die beste Entscheidung war, die ich hätte treffen können. In den USA hatten wir wenigstens immer Mal wieder Präsenzunterricht dank eines Hybridmodells, bei dem die Hälfte der Klasse an der Uni war und die andere Hälfte online. In Deutschland hat man ja praktisch zwei Jahre lang keine Uni gesehen.
Warum haben Sie sich für eine Duale Karriere in den USA entschieden, Frau Feyerabend?
Feyerabend: Für mich war 2021 auch wegen Corona ein wirklich schwieriges Jahr. Ich habe mir dann die Frage gestellt: Wenn ich jetzt anfange zu studieren, wie wird es mit dem Sport und allem? Ich wusste, ich möchte nicht zur Polizei, zur Bundeswehr oder zum Zoll gehen. Dadurch wurden die Möglichkeiten in Deutschland für mich sehr limitiert. Es war eine familiäre Entscheidung, weiter als Deutschland zu denken. Und das hat mir auch wirklich im Herzen weh getan, weil ich mir niemals vorstellen konnte, aus Deutschland weg zu gehen.

Sie haben beide ein Sportstipendium erhalten. Mussten Sie sich dafür bewerben?
Herrmann: In Deutschland gibt es die Agentur „Scholarship“. Die meldet sich bei jungen Sportlern in Deutschland und fragen nach, ob sie Interesse an einem Sport-Stipendium oder am Studieren in den USA haben. Letztlich zählt, welche Leistungen man in der Jugend erbracht hat. Dann gibt es ein Gespräch und es werden die Coaches in den USA kontaktiert. Man wird in eine Datenbank aufgenommen und die Trainer melden sich bei einem.
Feyerabend: Es Ist so ein bisschen wie der Transfermarkt in der Fußball-Bundesliga oder bei einer Model-Agentur. Ich war am Anfang sehr überfordert, aber mit der Hilfe von „Scholarship“ habe auch ich eine gute Uni gefunden.
Welche Anforderungen müssen Sie erfüllen, damit Ihnen das Stipendium nicht entzogen wird?
Feyerabend: Wenn wir unter einen bestimmten Notendurchschnitt fallen, werden wir gecuttet, also wir dürfen keine Wettkämpfe machen.
Herrmann: Ja (lacht). Aber wenn man sich nicht ganz dumm anstellt, ist es auch schwierig, unter den Notendurchschnitt zu fallen. Also es wird schon darauf geachtet, dass das nicht passiert.
Gibt es auch Mindestanforderungen an Ihre sportlichen Leistungen?
Feyerabend: Bei uns ist es so, dass man niemals das Stipendium verliert, außer man würde mehrere Jahre in Folge keine Leistung bringen. Aber das ist wirklich nur so, weil ich in einem Programm bin, das sehr familiär ist.
Herrmann: Ja, das ist ganz ähnlich wie bei uns. Durch schlechte Leistung hat glaube ich noch keiner das Stipendium weggenommen bekommen. Das passiert eher dann, wenn man nicht zum Training erscheint und einfach nicht wie ein Leistungssportler lebt.
Welche Unterstützung bietet die Universität in Bezug auf die Verbindung von Studium und Sport?
Feyerabend: Ich habe einen Academic Advisor (akademischen Berater, Anm. d. Red.) und einen Athletic Advisor (sportlichen Berater, Anm. d. Red.). Mein Academic Advisor erstellt meinen Stundenplan und ruft zwischendrin meine Trainerin an und fragt: Passt das?
Herrmann: Wir bekommen am Anfang der Saison immer einen Brief, den wir an unsere Professoren geben. Darin stehen alle unsere Wettkämpfe und die Professoren müssen uns für die Tage freistellen.
Frau Feyerabend, Sie waren lange Zeit Mitglied des deutschen Nationalkaders in der Leichtathletik. Mit dem Schritt in die USA haben Sie ihren Platz verloren. Wie sind Sie damit umgegangen?
Feyerabend: Das war schwierig für mich. Ich war immer im Kader. Aber dann wurde mir die Förderung komplett eingestellt, obwohl ich drei Monate im Jahr zu Hause bin und immer noch Wettkämpfe mache und auch vergangenes Jahr für Deutschland gestartet bin. Es hat sich angefühlt, als ob das System nein zu mir sagt und man abgelehnt wird. Dabei entscheide ich mich nicht gegen das System, sondern ich entscheide mich nur dafür, dass ich später von etwas leben will, und dafür brauche ich ein Studium. Das tat schon irgendwie weh. Aber ich hatte sehr viele Freunde, die auch in die USA gegangen sind und von daher war es okay, so ist es halt. Aber ich glaube, dass durch Leo Neugebauer (Silbermedaillengewinner im Zehnkampf bei Olympia 2024 in Paris, er hatte ein Sportstipendium an der University of Texas in Austin, Anm. d. Red.) eine neue Sichtweise auf die USA erzeugt wird, die vielen Leuten helfen wird, die in die USA gehen.
Würden Sie jungen Athleten eine Duale Karriere in den USA empfehlen?
Herrmann: Also rein sportlich hat es mir extrem viel gebracht. Ich habe mich über 800 Meter um fünf Sekunden verbessert. Aber selbst wenn es bei mir sportlich nicht so gut geklappt hätte, wäre es trotzdem die beste Entscheidung meines Lebens gewesen, da ich viele neue Leute kennenlernen durfte und eine Menge toller Erfahrungen gemacht habe. Außerdem spricht man danach fließend Englisch, dass kann auch nie schaden (lacht). Ich kann es jedem empfehlen.
Feyerabend: Das ist jetzt eine wirkliche Herzensangelegenheit von mir. Ich glaube, dass wir die Athleten nur so unterstützen können und sie persönlich ihr Glück finden, wenn wir sie über die Möglichkeiten informieren, die es hier gibt. Es geht einfach darum, dass wir mehr Bildung über die USA brauchen, dass wir mehr Kooperationen brauchen zwischen dem Deutschen Leichtathletik-Verband und den Universitäten in den USA. Oder zumindest mit den Athleten, dass man sich nicht so alleine und im Stich gelassen fühlt. Und dass man ein Teil der deutschen Mannschaft sein kann, egal wo man lebt. Das ist Globalisierung, das ist einfach die Tatsache, das ist unser Leben. Und deshalb würde ich es auf jeden Fall weiterempfehlen.
Inwiefern kann auch der deutsche Verband von einer Dualen Karriere in den USA profitieren?
Feyerabend: Ich finde, dass Deutschland dadurch eigentlich nur gewinnt. Ich hätte niemals die Entwicklung gemacht, die ich jetzt gemacht habe und ich hätte niemals wertvolle Punkte bei einem Wettkampf für Deutschland holen können, wenn ich nicht hierher gegangen wäre. Also im Endeffekt hat Deutschland nur profitiert. Sie mussten kein Geld in mich investieren und ich habe dennoch meine Entwicklung gemacht und starte trotzdem noch für Deutschland, weil das meine Heimat ist. Da ist mein Herz. Man entwickelt sich als Mensch, als Sportler, und man fühlt sich einfach wertgeschätzt.
Hat eine Duale Karriere in den USA auch negative Aspekte?
Feyerabend: Es besteht die Gefahr, sich von großen Unis blenden zu lassen, die extrem viel Geld und alle Möglichkeiten haben, die man sich nur vorstellen kann. Man kann schon verheizt werden, indem man an zu vielen Wettkämpfen teilnehmen muss. Dadurch steigt dann auch das Verletzungsrisiko.
Herrmann: Und es ist natürlich schon hart, so weit von Eltern, Familie und Freunden weg zu sein.
Feyerabend: Ja!
Herrmann: Über den Sommer ist man relativ viel zu Hause und auch über Weihnachten, aber man ist halt zehn von zwölf Monaten im Jahr weg auf der anderen Seite der Welt. Das ist nicht ganz so einfach.
Was sind Ihre Ziele für das Jahr 2025?
Herrmann: 2024 war das schwierigste Jahr meiner Karriere. Im Herbst habe ich mir einen Ermüdungsbruch im Oberschenkelknochen zugezogen. Von daher geht es bei mir einfach darum, möglichst früh wieder in den Trainingsalltag einzusteigen und wieder gesund zu werden. Das Highlight wären eigentlich die Deutschen Meisterschaften Anfang August.

Feyerabend: Mein Ziel sind die World University Games. Das ist ein internationaler Wettkampf, also Weltmeisterschaften für Studierende. Alle Athleten sind noch in der Uni und haben eine Duale Karriere zu bewältigen. Es wäre natürlich eine große Ehre für mich, da zu starten. Vor allem, weil es in Deutschland ist.
Das Interview führte Luca Mletzko
- „Im Endeffekt hat Deutschland nur profitiert“ - 10. Juni 2025