Neun Monate für zwei Menschenleben verantwortlich zu sein, eine Geburt zu überstehen und auch die folgenden Jahre die Verantwortung für ein Kind zu tragen, ist eine mutige Entscheidung. Außerdem ist es sowohl eine physische als auch psychische Belastung. Wenn dann noch die nötige finanzielle Sicherheit auf Grund mangelnder Regelungen in den Verträgen fehlt, benötigt es Mut, sich dennoch dafür zu entscheiden, ein Kind zu bekommen.
Genau diese Sicherheit und Klarheit fehlt oft im Spitzensport. In der Leichtathletik war „die Entscheidung schwanger zu werden, zu meiner aktiven Zeit mit einem riesengroßen Fragezeichen versehen“, sagt Pamela Dutkiewicz-Emmerich. Die Vize-Europameisterin von 2018 über 100 Meter Hürden war bis September 2021 aktive Spitzensportlerin. „Den Punkt Schwangerschaft habe ich in keinem meiner Verträge gelesen. In den meisten Verträgen kannst du gut ablesen, was passiert, wenn du nicht performst. Dann siehst du, wie viel Prozent weniger du im Jahr darauf bekommst.“ Damit scheint sie nicht allein zu sein.
Ein Beispiel ist die US-Amerikanerin Allyson Felix, Sprinterin und erfolgreichste Teilnehmerin bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften mit 20 Medaillen. Nach der Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft 2018 wollte ihr Sponsor Nike nur noch 30 Prozent der vereinbarten Sponsorengelder zahlen. Daraufhin wechselte Felix den Sponsor. Nike passte infolgedessen seine Richtlinien zum Mutterschutz an.
Fehlende Regelungen und Berücksichtigung führen oft zu Problemen. Allerdings werden Mütter im Spitzensport durch einige erfolgreiche Athletinnen auch in den Medien präsenter. Dies gibt dem Thema Aufmerksamkeit. Verbände, Sponsoren und weitere Unterstützer müssen sich mit dem Thema Schwangerschaft und Mütter im Spitzensport auseinandersetzen. Trotzdem geben bei einer Befragung des Südwestrundfunks (SWR), die Anfang 2021 veröffentlicht wurde, etwa die Hälfte der befragten Spitzensportlerinnen an, dass ihre sportliche Karriere die Familienplanung beeinflussen würde. Des Weiteren gab ein Drittel der Befragten an, es mangele an Unterstützung, um weiter an Wettkämpfen teilzunehmen, auch die Unterstützung der Verbände werde benötigt.
Auch Kugelstoßweltmeisterin Christina Schwanitz übt nach ihrer aktiven Zeit als Sportlerin Kritik. Im Laufe ihrer aktiven Sportkarriere brachte sie Zwillinge auf die Welt und schaffte es, auch als Mutter in der Weltspitze mitzumischen. Sie war eine der ersten deutschen Spitzensportlerinnen, die während ihrer Karriere Kinder bekommen hatte. Allerdings hatte Schwanitz sich die Entscheidung, mit dem Kugelstoßen weiterzumachen erst einmal offengelassen. Ihre Sponsoren haben sich von Christina Schwanitz abgewandt, als sie auf Grund der Schwangerschaft und der Geburt eine Pause einlegte. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) ermöglichte ihr aber einen Verbleib im Bundeskader, dafür wurden „die Kaderbildungsrichtlinien außer Kraft gesetzt“, sagt der Chef-Bundestrainer U23/U20, Dietmar Chounard. Schwangere Sportlerinnen „behalten bis auf Weiteres ihren Kaderstatus.“ Außerdem erhielt Schwanitz eine Ausnahmegenehmigung, damit die Zwillinge im Alter von sechs Monaten einen Sportkindergarten besuchen konnten.
Die Stiftung Deutsche Sporthilfe bietet außerdem eine finanzielle Unterstützung, diese wird den Athletinnen stets für eine Förderperiode von zwölf Monaten zugesichert. Die Förderung wird zunächst bis zum Ende der Förderperiode fortgeführt, sollten Sportlerinnen während dieser Dauer schwanger werden. Belässt der jeweilige Spitzensportverband die Athletin auch weiter im Kader, läuft die bestehende Förderung in gleichem Maße weiter. Über die #Comebackstronger-Förderung kann die finanzielle Förderung aufrechterhalten werden, auch wenn die Athletin keinen Kaderstatus mehr besitzt. Auch Christina Schwanitz wurde während ihrer Schwangerschaft auf diese Weise unterstützt. Höhe und Dauer der Zahlung werden dabei individuell auf die Athletin angepasst. Besonders wichtig ist diese Unterstützung vor allem für Einzelsportlerinnen, da diese oft selbstständig sind. Durch die Selbstständigkeit fehlen Arbeitnehmerrechte wie Mutterschutz und Elternzeit. Dietmar Chounard vom DLV führt weiter aus: „Kinderbetreuung in Trainingslagern wurde organisiert, Kosten durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe übernommen.“
Als Schwanitz sich dazu entschied, den Spitzensport weiterhin zu betreiben, versuchte sie Sport und Familie, soweit es möglich war, voneinander zu trennen. Der Sport war ihre Arbeit, da wollte sie 100 Prozent Leistung bringen. Außerdem hatte Schwanitz Angst, nicht ganz bei der Sache zu sein, wenn ihre Kinder bei Wettkämpfen dabei waren. Christina Schwanitz hat vieles selbst mit ihrem Umfeld organisiert, da sie eine Vorreiterin für alle Frauen im Sport war, die Mutter werden wollen. Sie hatte keine Ansprechpartnerin mit Erfahrung und musste einfach ausprobieren, was möglich war und was nicht.
Pamela Dutkiewizc-Emmerich entschied sich anders. Für sie war klar, Kinder kommen erst nach der Sportkarriere. An erster Stelle standen bei ihr Zweifel, wie ihre Leistung durch eine Schwangerschaft beeinflusst werden könnte. „Spitzensport funktioniert nur über Egoismus. Mein Mann und mein Umfeld wissen, auch wenn es nur eine Phase ist, hat der Sport Priorität. Es dreht sich alles um mich, meinen Wettkampfkalender, wann ich essen gehen kann, wann ich schlafen muss, bei welchen Familienfesten ich dabei sein kann. Es braucht großen Egoismus, Priorität Nummer eins bin ich und der Sport. Das steht für mich komplett konträr zum Bild der Mutter, das ich in mir trage und auch gerne verkörpern würde. Da hat Priorität Nummer eins das Kind. Ich kann mir vorstellen, dass Kind und Karriere gleichzeitig wahnsinnig zerreißen“, sagt Dutkiewizc-Emmerich. Dazu kam noch der finanzielle Aspekt. „In den meisten Verträgen kannst du gut ablesen, was passiert, wenn du nicht performst, ob das jetzt eine Verletzung ist oder du deine Leistung nicht auf den Punkt bringst“, sagt Dutkiewizc-Emmerich. Trotzdem hat sie jetzt als Stützpunkttrainerin erlebt, dass man als Athletin Kind und Karriere miteinander verbinden kann. „Aber es braucht Wohlwollen von Menschen, die mitentscheiden“, sagt Pamela Dutkiewizc-Emmerich. Sie ist der Meinung, es müsse ein grundlegendes Umdenken und eine Sensibilisierung im Umfeld geben. Es gibt also zukünftig noch viel Arbeit für alle Beteiligten.
Jemina Schmidt
- „Den Punkt Schwangerschaft habe ich in keinem meiner Verträge gelesen“ - 26. November 2023