Mit sieben Titeln als deutscher Meister, der Olympiateilnahme in London 2012 und dem aktuellen Weltmeistertitel in der Masters-Klasse, hat Maik Baier in der Radsportdisziplin „BMX-Race“ eine erfolgreiche Laufbahn vorzuweisen. In insgesamt 24 gefahrenen Saisons, hat der 30-jährige Schwabe viele Erfahrungen im nationalen und internationalen Renngeschehen gesammelt. Mit der SportSirene spricht er darüber, warum Unfälle zu seinem Sport gehören, wie er mit Verletzungen umgeht und warum das Risiko in naher Zukunft wohl nicht minimiert wird.
2019 wurdest Du Weltmeister in der Masters-Klasse. Was bedeutet Dir dieser Titel?
Ein Rennen zu gewinnen bringt immer ein gutes Gefühl. Man fährt die Rennen, um in den direkten Zweikampf zu gehen. Wenn man dann als Sieger herausgeht ist es umso schöner. Den Titel hatten schon einige größere Namen vor mir, deshalb bedeutet er mir schon etwas. Noch dazu, da ich der erste Deutsche bin, der diesen Titel gewinnen konnte. Ich möchte ihn so lange wie möglich verteidigen.
Wie sieht eine typische WM-Strecke aus?
Der Start erfolgt an einer Startklappe, dem „Gate“. Der Startberg hat bei der WM, den Weltcups und den Olympischen Spielen eine genormte Höhe von acht Metern und einem Gefälle von 28 Grad. Man erreicht innerhalb von zwei Sekunden 60 bis 65 km/h. Die Hindernisse variieren von Strecke zu Strecke. Jede Strecke hat vier Geraden und drei Kurven mit 180 Grad. Die Geraden sind variabel lang, doch die Gesamtlänge von Start bis Ziel beträgt immer zwischen 350 und 400 Meter. Die Rennstrecken bestehen in den Kurven aus Asphalt und einem sehr harten Belag auf den Geraden und den Hindernissen.
In welchem Format werden die Rennen ausgetragen?
Das typische Rennformat bei Wettkämpfen beginnt mit Vorläufen, in denen man drei Mal gegen dieselben acht Gegner an den Start geht. Die besten vier Fahrer kommen in die weiteren Finals, dort fährt man im K.O.-System. Das Prinzip ist wie bei der Fußball-WM.
Welche körperlichen Eigenschaften braucht man, um erfolgreich zu sein?
Es ist ratsam, im Kindesalter mit der Sportart zu beginnen, da die Technik mit dem Fahrrad nur sehr schwer zu erlernen ist. Talent wird benötigt, um sich bereits als Kind national und international durchsetzen zu können. Sobald der Körper sich in der Pubertät entwickelt, kommt die Eigenschaft Kraft dazu. Weniger kräftig gebaute Fahrer haben eher einen Nachteil, da sie am Start nicht genug Watt auf das Fahrrad bringen, um schnell genug zu beschleunigen.
Und welche Rolle spielt der Kopf?
Die mentale Eigenschaft kommt erst so richtig zum Tragen, wenn das Hobby im Teenager-Alter in Richtung Leistungssport geht. Alle Fahrer sind da technisch auf einem sehr hohen Stand und durch Krafttraining kräftig gebaut. Im Profibereich wird mentales Training in den Trainingsplan mit einbezogen, um die volle Leistung auf einen Punkt ohne Fehler abrufen zu können.
Was geht Dir durch den Kopf, wenn das Gate fällt?
Wenn das Gate fällt, denke ich an wirklich nichts mehr. Alles läuft automatisiert ab. Wenn ich das Rennen mit vollem Fokus und voller Konzentration fahre, weiß ich im Ziel nicht mehr, wie ich wirklich gefahren bin. Das weiß ich erst, wenn ich zur Ruhe komme und eine Videoaufnahme sehe.
Dein Sport ist sehr rasant. Wie oft kommt es zu Unfällen?
Stürze – selbstverschuldet und unverschuldet – gehören leider dazu. Sie passieren durch Fahrfehler anderer oder durch eigene. Bei den hohen Geschwindigkeiten wirken große Kräfte auf den Körper, wenn es zum Sturz kommt.
Gibt es Verletzungen, die häufig auftreten?
Typisch sind Schulter- und Armverletzungen, die beim Abfangen der Stürze entstehen. Die Beine sind aber auch ab und zu betroffen.
Welche Verletzungen hattest Du schon?
Ich habe mir zwei Mal das linke Schlüsselbein gebrochen, auch das Schlüsselbein rechts einmal – zusammen mit dem Schultereckgelenk. Zudem waren beide Sprunggelenke und das linke Handgelenk schon gebrochen. Das rechte Handgelenk habe ich mir einmal ausgekugelt, die Bänder im Fuß gerissen und unzählige Prellungen, Schürf- und Platzwunden zugezogen.
Eine lange Liste. Hast Du schon mal ans Aufhören gedacht?
Ende 2014 hatte ich eine schwere Verletzung. Davon habe ich mich wieder gut erholt und im Frühjahr 2015 kam die nächste schwere Verletzung. Da kam kurz der Gedanke, als ich wieder verletzt im Krankenhaus lag, ob das wirklich alles Sinn macht. Aber die Gedanken verschwinden, sobald man wieder fitter ist.
Wie schwer ist es, nach Verletzungen zurückzukommen?
Durch den Leistungssport ist man ärztlich perfekt betreut, auch nach den Operationen durch top ausgebildete Physiotherapeuten. Das macht den Einstieg nach einer Verletzung einfacher. Physisch muss man das Training Schritt für Schritt aufbauen, je nachdem, was für ein Körperteil verletzt war. Bei Oberkörperverletzungen war es immer möglich, den Unterkörper weiter zu trainieren.
Das Körperliche ist nur eine Komponente. Welche Rolle spielt das Mentale?
Am Anfang hat man die Verletzung, die erst verheilt ist, noch im Hinterkopf. Durch weiteres Training auf dem Fahrrad gewinnt man wieder das Vertrauen und man kann seine 100 Prozent abrufen. Durch die positive mentale Einstellung, ist der Heilungsprozess leichter zu ertragen und das führt dazu, dass man schneller wieder fit ist.
Woher kommt das hohe Risiko in Deiner Sportart?
Es gibt im BMX-Race keine Knautschzone wie im Autorennsport. Körperkontakt ist bis zu einem gewissen Level erlaubt. Jeder Kämpft um jeden Zentimeter, da das Rennen nur rund 40 Sekunden dauert. Man muss jede Chance nutzen, die der Gegner einem gibt. Dadurch wird oft sehr hart gefahren.
Welche Schutzvorkehrungen werden getroffen, um das Verletzungsrisiko zu minimieren?
Lange Kleidung sowie ein Integralhelm und Handschuhe sind Pflicht. Dazu gibt es weitere freiwillige Möglichkeiten: einen Nackenschutz gegen Halswirbelverletzungen oder Schützer für Ellbogen, Hand- und Kniegelenke.
Wie schützt Du Dich?
Ich fahre neben der Pflichtausrüstung nur mit Ellenbogen- und Knieschützern. Die Schützer helfen aber lediglich gegen Schürfwunden. Bei Stürzen unterstützt auch die gesamte Muskulatur, die durch das viel Krafttraining im Profibereich gut ausgebildet ist. Spezielles Krafttraining zum Schutz wird aber nicht gemacht.
Könnte man den BMX-Sport in Deinen Augen sicherer machen?
Das ist ein viel diskutiertes Thema in der Branche. BMX ist und bleibt eine Actionsportart. Verletzungen sind nicht zu vermeiden. Das Format wurde durch die Olympischen Spiele schneller und somit spektakulärer, was auch das Risiko erhöht, sich zu verletzen. Die Zuschauer möchten auch ein gewisses Spektakel sehen, somit wird es auch so bleiben.
Wie lange willst Du dieses Spektakel noch mitmachen?
Ich möchte meinen Titel bei der Weltmeisterschaft, in den USA verteidigen und hoffe, dass ich noch eine Weile auf dem Level fahren kann und mein Körper nicht irgendwann streikt.
Interview von De Witt Wolff
- „Verletzungen sind nicht zu vermeiden“ - 29. Februar 2020