Karla Borger ist Nationalspielerin im Beach-Volleyball und konnte in ihrer Karriere schon einige Erfolge verzeichnen: Sie ist zweifache Deutschen Meisterin, wurde 2013 Vize-Weltmeisterin und nahm in Tokio zum zweiten Mal an Olympischen Spielen teil. Neben ihrer sportlichen Karriere ist sie Gründungsmitglied des Vereins „Athleten Deutschland“ und wurde am 30. Oktober 2021 zu dessen Präsidentin gewählt. SportSirene-Redakteurin Svenja Graebling sprach mit ihr über das Verhältnis von Sport und Politik.
Frau Borger, was sind die Ziele und Aufgaben des Vereins „Athleten Deutschland“?
Die Grundidee des Vereins ist es, auf nationaler und internationaler Ebene die besten Bedingungen für Athlet*innen zu schaffen. Um dieser Idee nachgehen zu können, haben wir unsere Ziele in einen Dreiklang aufgeteilt: Wir vertreten die Stimme der Athlet*innen, bieten ihnen Schutz und zeigen Perspektiven auf. Die Themen und Aufgaben sind dabei immer sehr aktuell und vielfältig. Und es gibt immer Arbeit.
Inwiefern beschäftigt sich „Athleten Deutschland“ mit dem Verhältnis von Sport und Politik auf nationaler und internationaler Ebene?
Auch wenn große Sportorganisationen wie das IOC politische Neutralität beteuern, lassen sich Sport und Politik nicht trennen. Sie müssen sich auf internationaler Ebene zwangsläufig mit politischen Themen befassen – beispielsweise, wenn Athlet*innen in autokratischen Regimen für ihre Rechte kämpfen. Wir als Athleten Deutschland e.V. kommen dann ins Spiel, wenn es um deutsche Kaderathlet*innen geht. Durch die Menschenrechtsverletzungen in China sind die Olympischen Winterspiele in Peking momentan zum Beispiel ein großes Thema im Verein, aber auch die Corona-Maßnahmen oder der neue Koalitionsvertrag spielen eine Rolle. Auf internationaler Ebene ist Maximilian Klein als Beauftragter für Internationale Sportpolitik des Vereins hauptsächlich für die Vernetzung mit anderen Ländern zuständig. Es ist sehr wichtig, Kontakte zu anderen Organisationen mit ähnlichen Zielen zu pflegen, um voneinander lernen zu können und zu erfahren, welche Themen Athlet*innen in anderen Ländern beschäftigen.
Halten Sie es für wichtig, dass sich Sportorganisationen sowie Sportlerinnen und Sportler zu politischen Themen äußern?
Ich persönlich sehe das als sehr relevant an, besonders wenn es um die Verletzung der Menschenrechte geht. Aber man muss auch sagen, dass es die Entscheidung jedes Sportlers und jeder Sportlerin ist, sich zu äußern. Es gibt einige, die sich nicht genug informiert fühlen, andere wollen sich komplett auf den Sport konzentrieren. Das ist auch zu akzeptieren. Ich finde es trotzdem immer toll, wenn sich Sportler*innen zu politischen Themen äußern. Sie nehmen dann die Rolle einer Botschafterin oder eines Botschafters ein und setzen ein Zeichen, zum Beispiel gegen Rassismus oder für Vielfalt. Da sie eine Vorbildfunktion haben, hat das eine große Wirkung auf viele Menschen.
Nicht in allen Ländern können Sportler*innen ihre Meinung frei äußern.
Das Thema der politischen Äußerungen kommt momentan häufig in Gesprächen um die Olympischen Winterspielen 2022 zur Sprache. Da stellt sich zunächst die Frage, wie sich Sportler*innen überhaupt während der Spiele in Peking politisch äußern können. Das hat den Grund, dass man in ein Land fährt, in dem andere Wertevorstellungen herrschen als die, die man selbst kennt. In ein Land, wo man sich eben nicht frei äußern darf. Das besorgt natürlich auch die Athlet*innen und gibt ein unsicheres Gefühl. An dem Punkt kommt dann das IOC ins Spiel, das die Verantwortung für sichere Spiele tragen sollte.
Spielt es dabei auch eine Rolle, dass Thomas Bach, Präsident des IOC, immer wieder betont, dass ihm eine politische Neutralität wichtig sei?
Das ist eine Farce. Der Präsident muss das sagen, weil er die Spiele nach Peking vergeben hat. Er kann jetzt schlecht zugeben, dass die Entscheidung nicht richtig war, weil sich dort nicht an Menschenrechte gehalten wird. Das wurde es damals, bei der Vergabe, auch schon nicht. Es ist schon sehr pervers, was da gerade passiert.
Mit welchen Konsequenzen müssen Sportler*innen rechnen, die sich während der Winterspiele in Peking politisch äußern?
Ich bin erst mal gespannt, ob sich überhaupt jemand äußern wird. Wie das dann gehandhabt wird, weiß ich auch nicht. Eigentlich dürfte es keine Konsequenzen geben, weil die internationale Aufmerksamkeit auf China liegt. Ich halte es also eher für unwahrscheinlich, dass eine politische Äußerung Folgen haben wird. Aber können wir uns denn sicher sein? Es gibt auch andere Fälle: Ein Tibeter hat beispielsweise 2008 eine Dokumentation herausgebracht, wo es um die Unterdrückung in seinem Land geht. Daraufhin wurde er verhaftet und geknebelt. Ein Jahr später konnte er aus Tibet flüchten. Es ist schon erschreckend, solche Geschichten mitzubekommen.
Doch es gibt mit Sicherheit auch positive Folgen durch politische Äußerungen im Sport, oder?
Ja, das auf jeden Fall auch. Bei den Sommerspielen 2020 in Tokio hat die Kapitänin der deutschen Hockeyspielerinnen, Nike Lorenz, beantragt, eine Regenbogenbinde tragen zu dürfen. Athleten Deutschland hat ihr dabei geholfen und am Ende durfte sie sie tatsächlich tragen. Oder ein anderes Beispiel: Meine Partnerin Julia Sude und ich haben Anfang vergangenen Jahres ein Beach-Volleyball-Turnier in Katar boykottiert. Es gab nämlich eine Kleiderordnung, nach der wir alle in langer Kleidung spielen sollten. Wir sind aber der Überzeugung, dass jeder das tragen sollte, womit er sich wohl fühlt. Unser Boykott hat dazu geführt, dass sich viele Menschenrechtsorganisationen dahintergeklemmt haben und es international Aufsehen erregt hat. Dann wurde die Kleidervorschrift doch noch geändert und die Athletinnen durften dort dann so spielen, wie sie wollten.
Sie sind selbst noch als Beach-Volleyballerin aktiv. Gibt es politische Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen und für die Sie sich engagieren?
Es gibt viele Themen, die mir sehr wichtig sind. Das Zentrum für Safe Sport liegt mir besonders am Herzen, auch, dass die Anlaufstelle zeitnah fertiggestellt wird. Es gibt immer mehr Betroffene, die so mutig sind, sich zu äußern. Laut einer Studie des Deutschlandfunks gibt es im Sport deutlich mehr Missbrauchsfälle als in der katholischen Kirche. Das ist erschreckend. Leider ist dieses Thema beim Deutschen Olympischen Sportbund nicht mehr im Fokus, das betrifft auch die finanzielle Unterstützung zur Aufarbeitung der Fälle.
Das Zentrum für Safe Sport:
„Athleten Deutschland hat mit dem Aufbau einer Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt und Missbrauch begonnen. Die Anlaufstelle soll betroffenen Bundeskaderathlet*innen psychosoziale und rechtliche Erstberatung bieten. Ein weiteres Ziel ist der Aufbau eines Netzwerks, das Hilfesuchenden auch nach dem Erstkontakt Begleitung und Unterstützung bereitstellen kann.“ Athleten Deutschland e.V.