Der Sport ist für alle da, heißt es. Doch dürfen auch alle darüber berichten? Nicht wirklich:
Frauen haben es in den Redaktionen noch immer schwer. Warum das so ist –
und was sich ändern muss.
„Wieso soll eine Frau mutiger sein als ein Mann, weil sie im Sportjournalismus arbeitet?“, fragt Amelie Stiefvatter. Die 32-Jährige ist Sportjournalistin und Fernsehmoderatorin und arbeitet unter anderem für den Sender ServusTV und das ZDF.
Stiefvatter hat geschafft, wovon viele junge Frauen träumen. In Deutschland sind Frauen in Sportredaktionen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Auch wenn der Anteil der Sportjournalistinnen in den vergangenen Jahren leicht angestiegen ist, befindet sich dieser weiter auf sehr niedrigem Niveau. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Sportjournalisten lag der Frauenanteil 2019 zwischen 10 und 11 Prozent.
Was Frauen und Männer im Sportjournalismus eint: Viele treibt vor allem das Interesse am Sport an. Die meisten haben den Wunsch, im Sportjournalismus zu arbeiten, bereits von klein auf und wollen ihre Leidenschaft zum Beruf machen. Dennoch bewerben sich deutlich weniger Frauen bei Sportredaktionen. „Auf meinem Tisch landen definitiv mehr Bewerbungen von Männern, viel mehr sogar“, sagt Simone Schlegel. Sie ist Sportredakteurin beim Südwestrundfunk in Stuttgart und vertritt die Meinung, dass dieses Ungleichgewicht nicht allein dem geschuldet ist, dass der Sportjournalismus schon immer männerdominiert war. Die fehlende Ausgewogenheit der Geschlechter hängt auch mit tiefliegenden Problemen zusammen, die zunächst nicht offensichtlich sind.
Die Bewerbung bei einer Sportredaktion stellt für Frauen oft eine besondere Herausforderung dar. Schlegel sieht die Ursachen dabei in der Unsicherheit der Bewerberinnen, den Ansprüchen des Jobs gerecht zu werden. Die persönliche Angst sowie die Selbstkritik sind bei Frauen deutlich ausgeprägter als bei Männern. In diesem Zusammenhang führt Schlegel die folgenden Fragen an: Passt dieser Job tatsächlich zu mir? Ist das wirklich auch das, was ich machen möchte? Erfülle ich überhaupt alle Voraussetzungen?
Vor allem in männergeprägten Sportarten ist die vollständige Akzeptanz von Frauen im Sportjournalismus noch nicht sehr verbreitet. Deshalb ist die Entscheidung, in diesem Bereich zu arbeiten für Frauen besonders mit Unsicherheiten verbunden. „Als Frau bist du entweder langeilig oder hast keine Ahnung, da muss man erstmal eine Riesenhürde nehmen“, beschreibt Amelie Stiefvatter die Situation. Sportjournalistinnen werden im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen zu einem Großteil nach ihrem Äußeren beurteilt. Vor der fachlichen Kompetenz zähle dann zunächst beispielsweise das Outfit. Stiefvatter könne etwa 60% der Nachrichten, die sie von Zuschauern erreichen, auf ihr Äußeres zurückführen, sagt sie.
Wirft man einen Blick auf die verfolgten Berufsziele von Sportjournalist*innen, ergibt sich ein eindeutiges Bild. Losgelöst vom Geschlecht sind die beruflichen Absichten bei Frauen und Männern nahezu identisch. In der Studie „Chancen und Herausforderungen von Frauen im Sportjournalismus“ von Michael Schaffrath (TU München) aus dem Jahr 2020 konnte das Berufsziel des „Informierens“ unter den teilnehmenden Sportjournalistinnen die größte Zustimmung erreichen. Dieses Ziel deckt sich mit dem „Informieren“ als wichtigste Berufsabsicht im Journalismus allgemein. Gefolgt wird das „Informieren“ in der Studie von Schaffrath von der Vermittlung komplexer Sachverhalte sowie der möglichst schnellen Verbreitung von Nachrichten als zweit- und drittwichtigste Ziele.
Doch Frauen haben es dabei schwer. Sie müssen häufig mit harter Kritik, Beschimpfungen und Anfeindungen rechnen. Schlegel stellt bei den Reaktionen von Hörer*innen und Zuschauer*innen Unterschiede fest: „Das ist schon krass, was sich manche Reporterin da an Beleidigungen und auch Belehrungen gefallen lassen muss. Da bekommen männliche Kollegen in der Regel deutlich weniger ab.“ Ebenso beobachtet Schlegel, dass Frauen anders bewertet werden. Nach ihrer Einschätzung müssen sich Frauen deutlich öfter beweisen und werden fachlich nicht so gerne zu Rate gezogen wie ihre männlichen Kollegen. Stiefvatter hat das selbst erlebt. Vor allem die fachlichen Kompetenzen von Frauen in männerdominierenden Sportarten wie Fußball werden in Frage gestellt. „Ich konnte darüber immer hinwegschauen und habe dann bestochen durch gute Arbeit“, erklärt Stiefvatter ihren Umgang mit solchen Situationen. Das sei für die Sportjournalistin der beste Weg, auf kritische Rückmeldungen oder Beschimpfungen zu reagieren.
In einer weiteren Studie von Schaffrath über Sexismus im Sportjournalismus aus dem Jahr 2018 gab jede Vierte der 154 befragten Sportjournalistinnen an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Knapp zehn Prozent wollten sich dazu gar nicht äußern. Es bleibt deshalb weiterhin eine schwierige Aufgabe für die Sportredaktionen ihren Frauenanteil in Zukunft zu steigern. Schlegel sieht in einem höheren Frauenanteil auch einen Mehrwert für die Berichterstattung in ihrer Redaktion: „Wie überall sollten auch wir unbedingt auf eine gute Mischung achten. Es ist ja längst kein Geheimnis mehr, dass gemischte Teams in der Regel erfolgreicher sind.“ Außerdem sei es wichtig, Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln anzugehen. Schließlich seien die Hälfte der Hörer*innen und Zuschauer*innen Frauen.
Im Laufe der Jahre lässt sich beobachten, dass die Medienpräsenz von Sportjournalistinnen erkennbar zugenommen hat. Stiefvatter betont: „Das Wichtigste ist, dass man als Frauen zusammenhält und sich gegenseitig unterstützt.“ Vor allem die Medienbranche ist vom gegenseitigen Ausstechen und vom ständigen Wettbewerb untereinander geprägt. Obwohl sie selbst erst ganz am Anfang ihrer Karriere steht, hat Stiefvatter bereits jetzt viele Frauen in ihrem Beruf kennengelernt, die sie von Anfang an aufgebaut haben. Sie hat die ansteigende Medienpräsenz der Sportjournalistinnen wahrgenommen. Stellen von Moderator*innen, Kommentator*innen oder Expert*innen werden häufiger mit Frauen besetzt. Das ist vor allem für junge Frauen und Mädchen wichtig. Sie benötigen genauso wie Männer Vorbilder, die sie für den Beruf begeistern und sie ermutigen, diesen Weg einzuschlagen, sodass sich die Frage nach dem Mut von Sportjournalistinnen irgendwann gar nicht mehr stellt.
- „Als Frau bist du entweder langweilig oder hast keine Ahnung“ - 11. März 2023