Marcel Dabo hat das erreicht, wovon viele junge Footballspieler in Deutschland träumen: Die NFL, der 23-jährige Reutlinger spielt seit 2022 in der US-amerikanischen Profiliga, die die beste der Welt ist. Im Interview mit der SportSirene erzählt Dabo, welche Opfer er für sein großes Ziel bringt, wie viel Mut es benötigt diesen Sport auszuüben und wie er mit den Risiken einer brutalen Kollisionssportart umgeht.
Marcel, Du bist seit der Saison 2022 bei den Indianapolis Colts in der National Football League (NFL) unter Vertrag. Wie kam es dazu, dass Du von einem NFL-Team verpflichtet wurdest?
Ich war Anfang 2022 in Phoenix, Arizona bei einer Trainingsphase vom International Pathway Program (IPP – Programm der NFL, um internationalen Spielern beim Sprung in die NFL zu helfen, Anm. d. Red.). Dort hatte ich ein Probetraining, bei dem die Scouts der einzelnen Teams zugeschaut haben und die Colts auf mich aufmerksam geworden sind. Nach dem Draft haben sie mich dann unter Vertrag genommen.
Gab es bei Dir irgendwann den Punkt, an dem Du gesagt hast: „Okay, jetzt ist der nächste Schritt die ruhmreiche und milliardenschwere NFL“?
Ich wusste immer, dass ich mit Football mehr machen will als einfach nur spielen. Dabei geht es mir nicht ums Geld, sondern ich wollte mich schon immer mit den besten Spielern messen. Als ich vom IPP eingeladen wurde, habe ich gemerkt: „Okay, das wird immer realistischer, ich möchte das forcieren.“
Wie wurdest Du als deutscher Spieler in das Team der Indianapolis Colts aufgenommen und integriert?
Ich hatte keine Außenseiterrolle, wie man anfangs vielleicht vermuten würde, da viele nicht wussten oder erst später erfahren haben, dass ich aus Deutschland komme. Dementsprechend habe ich mich relativ schnell gut eingefunden. Ich komme mit meinen Mitspielern sehr gut aus und habe schnell eine Routine gefunden, es war also nicht so ein krasser Unterschied zu meiner Zeit in Deutschland.
Um Dir deinen Traum von der NFL zu verwirklichen, hast Du Dein gewohntes Umfeld und die Uni hinter Dir gelassen und bist in die USA gezogen. Wie viel Mut hat Dich das gekostet?
Es hat auf jeden Fall sehr viel Mut und Überwindung gekostet, mein Zuhause, meine Familie und mein Umfeld zu verlassen. Außerdem kommt noch dazu, dass ich den Karriereweg, den ich in Deutschland mit der Uni und meinem Studium eingeschlagen habe für das Erste pausieren musste, um meiner sportlichen Karriere nachzugehen. Das war schon ein sehr großer Schritt, aber ich wusste, dass ich das machen muss, um meinem Ziel näher zu kommen.
American Football lebt von spektakulären Szenen, bei denen beispielsweise der Spielmacher seinem Passempfänger den Ball über teils 50 Meter zuwirft. Als Defensive Back ist es Deine Aufgabe, diesen Pass zu unterbinden. Doch wenn bei einem Laufspielzug der Läufer durch die erste Verteidigungslinie bricht, bist Du die letzte Absicherung um ihn zu stoppen. Wie viel Überwindung kostet es, so einen heransprintenden Muskelberg zu Boden zu bringen?
Als Safety ist das schon extrem, man sieht den Ballträger mit 110 Kilo auf einen zu sprinten, er hat nach rechts und links 30 Yards Platz. Er kann an dir vorbeirennen, er kann dich umrennen. Es ist nicht so, dass man sagt „Okay, es wird jetzt zum Kontakt kommen“, sondern man muss schauen, dass er dich nicht austanzt. Wenn man aber dem Kontakt nicht mehr ausweichen kann, gibt es da nicht viel zu sagen. Man muss seinen Job machen, du musst deinen Körper jetzt reinhalten. Aber dafür trainierst du ja die ganze Offseason, im Gym, auf dem Feld, um auf solche Situationen vorbereitet zu sein und das so sicher wie möglich zu spielen. Für Außenstehende wirkt das vielleicht wie blind in jemanden reinrennen, aber so ist das nicht – ein Tackle ist extrem technisch.
Beim Tackeln musst Du darauf achten den Kontakt nicht mit dem Helm zu initiieren, außerdem darfst Du den Gegenspieler nicht an seinem Helm treffen oder am Gesichtsgitter herunterziehen. Wie lange hat es gedauert, diese Tackle-Technik zu erlernen und Dich beim Tackeln nicht selbst zu verletzen?
Ich habe auf jeden Fall sehr viel Tackletraining gebraucht, da ich ursprünglich als Wide Receiver (Passempfänger, Anm. d. Red.) aus der Offense komme.
Im Football spezialisiert sich ein Spieler in der Regel auf die Offensive oder die Defensive.
Ich habe vor meiner Zeit in den USA nur ein Jahr in der Defense gespielt. Dazu kommt, dass im Training gar nicht so viel getackelt wird, da es das Verletzungsrisiko unnötig erhöhen würde. Wir tackeln im NFL-Training einmal in der Woche 100 Prozent bis zum Kontakt, aber ohne, dass wir uns gegenseitig zu Boden bringen, man soll auf den Füßen bleiben.
Du setzt bei jedem Tackle Deinen Körper und Deine Gesundheit aufs Spiel. Wie viel Mut brauchst Du, um das zu tun?
Den Mut holt man sich in der Offseason (spielfreie Zeit, Anm. d. Red.), wenn man sich und seinen Körper auf den Sport vorbereitet. Klar ist der körperliche Verschleiß höher als zum Beispiel beim Radfahren, dennoch muss man sich wie in jeder anderen Sportart auf das vorbereiten, was einen in der Saison erwartet. Beim Tackeln an sich darf man nicht nachdenken. Wer nachdenkt, ist einen Schritt zu langsam und verliert den Zweikampf. Man muss mit Gewalt in den Kontakt gehen, aber nicht mit roher Gewalt, sondern kontrolliert.
American Football ist durch den harten Körperkontakt mit gesundheitlichen Risiken und gegebenenfalls Langzeitfolgen verbunden. Laut einer Studie wurde bei 110 von 111 getesteten Spielern – bei denen es konkrete Gründe für Tests gab – eine chronische traumatische Enzephalopathie, das heißt eine neurale Dysfunktion, kurz CTE festgestellt. Diese kann bei häufigen Erschütterungen des Gehirns wie beispielsweise beim Kopfball im Fußball, Boxen, American Football oder anderen Kontaktsportarten auftreten. Wie gehst Du mit diesem Risiko um?
Wie in jeder Sportart – und vor allem in Kontaktsportarten – gibt es gewisse Risiken, denen man sich bewusst ist. Durch ein sich ständig änderndes Regelwerk und ständig besser werdende Schutzausrüstung, konnte American Football über die Jahre deutlich sicherer gemacht werden. Kopf an Kopf-Kollisionen sowie Tackles an Spieler, die sich nicht verteidigen können sind nicht mehr erlaubt. Dennoch ist CTE ernst zu nehmen und nicht zu unterschätzen! Die Liebe zum Sport und die Sicherheit, die die NFL den Spielern bietet, helfen mir den Sport leidenschaftlich zu betreiben.
Die Antwort der NFL auf diese Erkrankungen sind, wie Du schon angedeutet hast, Änderungen im Regelwerk, sodass das Spiel sicherer wird. Aber auch ständige Verbesserungen an der Ausrüstung, zum Beispiel an den Helmen oder den Schulterpanzerungen sollen für mehr Sicherheit sorgen. Was hältst Du von diesen Maßnahmen?
Diese Maßnahmen sind auf jeden Fall wichtig. Der Sport soll dem American Football natürlich treu bleiben, aber gleichzeitig den Spieler schützen.
Das heißt, dass Regeländerungen nachvollziehbar sind, diese den Sport aber nicht verfälschen bzw. verweichlichen sollen.
Ich als aktiver Spieler finde das natürlich super, denn ich will die maximale Sicherheit genießen, die die NFL zum Beispiel durch Regelneuerungen bietet.
Gibt es für Dich im American Football einen Zusammenhang von Mut und Disziplin?
Es gibt durchaus einen Zusammenhang. In der Saisonpause muss man diszipliniert trainieren, um den Körper auf die Saison vorzubereiten. Natürlich muss man aber auch mutig genug sein, um seine Fähigkeiten im Spiel dann einzusetzen. In diesem Zusammenhang kann man von Selbstvertrauen sprechen. Denn man braucht dieses Vertrauen in sich selbst und in die eigenen Fähigkeiten, um diese am Spieltag dann auch anwenden und abliefern zu können.
Hast Du mit der Zugehörigkeit zu einem NFL-Team bereits Dein größtes Ziel erreicht oder gibt es noch weitere Ziele, die Du zukünftig erreichen möchtest?
Der erste Schritt ist auf jeden Fall getan, aber ich will meinen Weg als etablierter Spieler in der NFL machen und eine lange und gesunde Karriere in der Liga haben. Ein weiteres Ziel von mir, das gar nicht auf dem Platz stattfindet: den Sport American Football in Deutschland so groß wie möglich zu machen und die deutsche Football Community weiter zum Wachsen zu bringen.
Das Gespräch führte Julian Ludwig Mayorga
- „Wer nachdenkt, ist einen Schritt zu langsam“ - 20. Mai 2023