Der Volksentscheid über die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022 zeigt, wie die Begeisterung für Olympische Spiele von der Ablehnung gegenüber dem Megaevent überschattet wird. Dies ist eine Entwicklung, die das IOC in die Ecke drängt.
Die Entzündung des Olympischen Feuers, die Eröffnungsfeier, die Sportstätten und nicht zuletzt die sportlichen Wettkämpfe, in denen sich die besten Athleten im Namen ihrer Länder messen, lassen Sportfans schon Wochen vor Olympischen Spielen ins Schwärmen geraten. Ohne Zweifel hat diese sportliche Großveranstaltung eine Faszination, die einen Großteil der Welt begeistert. Es ist ein Ereignis, das den Zuschauer ins Staunen versetzt und Athleten aus verschiedenen Ländern in Kontakt zueinander bringt: Die Faszination der Olympischen Spiele lebt aber auch von der Aufmachung der Stadien, Sportstätten und der Austragungsstadt. Dem Austragungsland und der Stadt kosten diese vier Wochen im Rampenlicht viele Milliarden Dollar. Spitzenreiter in Sachen Ausgaben sind die Winterspiele in Sotchi 2014, die insgesamt rund 50 Milliarden Dollar verschlungen haben. Geld, was laut Kritiker für sinnvollere Projekte hätte angelegt werden können. Kritiker sehen die immer teurer werdenden Spiele als größenwahnsinnig und verschwenderisch an und kritisieren dabei allen voran das verantwortliche Internationale Olympische Komitee (IOC). Immer häufiger sehen sich die Verantwortlichen der Verbände und der Politik mit Gegenbewegungen konfrontiert. Dieser Zwiespalt der Spiele, das Dasein zwischen Faszination und verschwenderischem Größenwahn, beeinflusst seit einigen Jahren die Bewerbungsverfahren möglicher Olympiastädte. Es stellt sich die Frage, wie Olympische Spiele zukünftig umzusetzen sind.
München auf dem Weg zum Nein
Nachdem München mit der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018 an der südkoreanischen Stadt Pyeongchang scheiterte, hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) vorerst keine zweite Bewerbung im Sinn. Doch nachdem die USA aus dem Rennen um die Winterspiele 2022 ausstieg, witterte man in München eine neue Chance. So wurden am 5. Juni 2013 die Nachbesserungsaufträge des DOSB in Auftrag gegeben, um sich für die Spiele 2022 zu bewerben. Während bei der Bewerbung 2018 lediglich einige Landwirte in Garmisch-Patenkirchen ihre Abneigung gegen die Spiele kund taten und sich wegen dem Verlust ihres Landes zu Wehr setzten, waren es für die Bewerbung 2022 deutlich mehr Gegner. In kurzer Zeit bildete sich aus verschiedenen Umweltverbänden und den bayrischen Grünen die Gegenbewegung „NOlympia“. Da der Münchener Stadtrat darauf bestand, die Bürger über die Bewerbung entscheiden zu lassen, bekam jeder Bürger der beteiligten Gemeinden München, Garmisch-Patenkirchen, Traunstein und dem Berchtesgadener Land eine Abstimmungsbenachrichtigung. Beigelegt war eine Stimmempfehlung. Die Argumente von NOlympia wurden darauf nicht erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt glaubten die wenigsten an einen negativen Ausgang des Volksentscheids im November 2013.
In den Wochen vor dem Volksentscheid war Wahlkampf in den vier betroffenen Landkreisen. Für Dr. Wolfgang Zängl, Mitbegründer der Gesellschaft für Ökologische Forschung und einer der führenden NOlympia Aktivisten, war der Wahlkampf einseitig. „Die Olympia-Gegner hatten ein sehr bescheidenes Budget. Die Veranstalter hingegen hatten Promis als Wahlhelfer“, sagte der 65-Jährige und beschrieb die vielen Plakate und Wahlkampfstände, die den Veranstaltern zur Verfügung standen. Sogar U-Bahndurchsagen in München gehörten zum Wahlkampf des DOSB und der Stadt München. Letztendlich waren die Mittel jedoch nicht ausreichend. In allen vier Austragungsorten entschieden sich die Bürger am 10. November 2013 gegen eine Olympiabewerbung Münchens. Den Olympischen Spielen wurde der Laufpass gegeben.
Segen oder Fluch
Eine Fehlentscheidung, findet Prof. Dr. Helmut Digel, langjähriger Funktionär des DOSB: „Die Olympischen Spiele wären eine einmalige Chance zur Regionalentwicklung gewesen.“ Zängl hingegen ist sich sicher, dass die fünf Hauptargumente gegen Olympia die Menschen überzeugen konnten. Die Schulden, die Belastung der Natur, der Größenwahn, die Herrschaft des IOC und die Mietpreisexplosionen waren laut Zängl die Stichworte, die den Wahlkampf entschieden. Für Digel waren die gegnerischen Argumente nicht nachvollziehbar und emotionalisiert. Für die Stadt war damit die Bewerbung gelaufen. Der damalige Münchener Bürgermeister Christian Ude beschrieb die Niederlage sogar als Aus für zukünftige Bewerbungen.
Das Dilemma der Olympischen Spiele
Das Phänomen der Abneigung gegenüber Olympischen Spielen beschränkt sich nicht nur auf München. Auch mögliche Bewerbungen von Oslo oder Graubünden wurden von heftigen Gegenbewegungen begleitet. Darüber hinaus muss sich nicht nur das IOC mit harscher Kritik auseinandersetzen: Die FIFA-Fußballweltmeisterschaft in Brasilien, bei der heftige Demonstrationen voraus gegangen waren, zeigt, dass sich das Problem der Abneigung auf alle sportlichen Großveranstaltungen übertragen lässt. Dabei wenden sich die Gegner nicht gegen den Sport, sondern gegen die Verbände. So sagte Ludwig Hartmann, der Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern, nach der Wahl in München: „Es ist kein Zeichen gegen den Sport, es ist ein deutliches Zeichen gegen die Intransparenz und die Profitgier des IOC.“ Digel wiederum findet die Kritik am IOC nicht gerechtfertigt und sieht das IOC in vielerlei Hinsicht transparent und die Kritik, die gegenüber der FIFA und anderen Sportverbänden zu Recht vorgetragen wird, unzutreffend. Doch auch Digel sieht die größer werdende Tendenz, dass sich die Spiele in Länder verlagern, die autoritär geführt sind. Beispiele für diese Entwicklung sind die Spiele in Peking 2008 und Sotchi 2014, bei denen die Regierungen der Länder versucht haben, sich der Welt positiv zu präsentieren. Aber auch die FIFA-WM-Vergabe nach Russland und Katar sind Beispiele dafür, dass die Weltverbände gewollt oder ungewollt auf Länder zurückgreifen, in denen es wenig Widerspruch von Seiten der Bevölkerung gibt. Ob die Weltverbände bei diesen Austragungsorten auch finanzielle Ziele verfolgen. sei dabei dahin gestellt. Ist die olympische Idee noch vorhanden oder geht es nur noch um Politik und Finanzen? Digel betrachtet das Problem wie folgt: „Die Kritik an den Bewerbungsverfahren ist berechtigt, das bislang gültige Bewerbungsverfahren war für die Bewerberstädte zu teuer, die Risiken waren nicht zu kalkulieren und derartige Ausgaben sind gegenüber demokratischen Gremien nicht zu rechtfertigen.“ NOlympia Aktivist Zängl sagt, dass der Einfluss der Menschen in westlichen Demokratien weiter zunimmt: „Das ganze Konzept der Olympischen Spiele ist verkorkst. Die Summen, die bei einer solchen Großveranstaltung fließen, sind der Grund für die Abneigung der Menschen.“ Zängl ist sich sicher, dass Menschen in einer westlichen Gesellschaft diese Großereignisse nicht mehr brauchen. „Da hilft auch kein künstlich erzeugter Hype, wie der der Stadt München.“ In naher Zukunft wird wohl keine Bewerbung ohne Zustimmung der Bevölkerung möglich sein. Also wie kann man die Leute wieder von den Olympischen Spielen überzeugen?
Die neue Agenda: Wegweiser oder Irreführung?
Digel hält die 2014 vom IOC vorgestellte „Agenda 2020“ für den richtigen Schritt. In dieser Reformagenda, die unter anderem aufgrund der rückgängigen Olympiabewerbungen erarbeitet wurde, geht es um billigere und kleinere Spiele, saubere Athleten und eine Besinnung auf die olympischen Werte. Zängl wiederum hält die Agenda für eine Geschäftserweiterung des IOC und nennt den Verband reformunfähig. Ob die Agenda etwas bewegen wird, muss sich zeigen. Man kann jedoch festhalten, dass ohne Reformen der Druck der Bürger größer wird und das IOC es schwer haben wird, genügen Bewerberstädte zu akquirieren.
Die Olympischen Spiele befinden sich im Zwiespalt. Diese Veranstaltung, deren Aufgabe es ist, die Welt zusammenzubringen, scheint die Menschen derzeit eher zu entzweien. München, mit der Pro- und Contra-Seite, verdeutlicht das Verhältnis zwischen Faszination und Ablehnung. Eine Situation, in der sich das IOC mit der Kritik auseinandersetzen muss. Ohne die breite Zustimmung der Bürger der betroffenen Städte ist es für das IOC auf Dauer nicht machbar, reibungslose Spiele zu veranstalten. Diese Zustimmung wird nun in Hamburg gesucht. Nach Prognosen sollen 64 % aller Bürger für Hamburg als Austragungsort der Olympischen Spiele 2024 sein. Einen Bürgerentscheid wird im Herbst folgen. Hamburg könnte ein Zeichen setzen. Ein Zeichen des Vertrauens in das IOC und dessen Bestreben, die olympische Idee umzusetzen. Denn angesichts der Abneigung vieler Menschen gegenüber der kommerzialisierten Art der Spiele, ist diese mehr denn je gefragt.
Von Emanuel Hege
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