Hängende Schultern, den Blick nach unten, Enttäuschung, die sich im Gesicht widerspiegelt. Eine Körpersprache, die bei Sportlerinnen und Sportlern nach einem Rückschlag immer wieder zu beobachten ist. Doch ist die Körpersprache tatsächlich mitentscheidend über Erfolg? Unter anderem mit dieser Frage beschäftigt sich Dr. Florian Schultz in seiner angewandten sportpsychologischen Arbeit mit Athletinnen und Athleten. Für den seit 2008 am Institut für Sportwissenschaft in Tübingen tätigen Sportwissenschaftler ist es keineswegs ein Zeichen von Schwäche, wenn Sportlerinnen und Sportler auch mental trainieren. Warum das Mentaltraining genauso zum Hochleistungssport gehört wie das körperliche und taktische Training, erzählt der 42-Jährige dem SportSirene-Redakteur Bastian Bühler im Interview.
Herr Schultz, Fußballkommentatoren weisen bei Übertragungen immer wieder auf die Körperhaltung und Körpersprache von Fußballprofis hin. Sätze wie „Man sieht ihnen bereits an der Körpersprache an, dass sie das Spiel verlieren werden!“ hört man in fast jedem Spiel. Was ist damit gemeint?
Klassischerweise meinen Kommentatoren damit so etwas wie einen hängenden Kopf, hängende Schultern, gebückte Haltung und einen deprimierten Blick nach unten. Interessanterweise habe ich das Gefühl, dass eine Attribution der Körpersprache auf das Ergebnis oft erst im Nachhinein stattfindet. Ich habe es selten erlebt, dass ein Kommentator schon während eines Spiels, das vielleicht noch unentschieden steht, aufgrund der Körpersprache das Endergebnis prognostiziert.
Und wie würden Sie dann eine positive Körpersprache definieren?
Das ist dann genau das Gegenteil. Aufrechte Haltung, Schultern nach hinten, Blick nach vorne, sich groß machen und präsent im Raum sein. Also das, was wir auch im Alltag als positive Körpersprache wahrnehmen. Wenn uns eine Person begegnet, die aufrecht läuft, mit Schultern nach hinten und den Blick nach vorne, nehmen wir diese anders wahr als wenn sie sich gebückt bewegen würde.
Welchen Einfluss haben positive Körperhaltung und Körpersprache auf den Gegner?
Das kommt ganz auf den Gegner an. Zum Beispiel wie erfahren oder eben auch unerfahren dieser ist. Einen unterbewussten Effekt hat es aus meiner Sicht aber auf jeden Fall immer. Steht ein Gegner vor mir, der eine positive Körpersprache hat und Selbstbewusstsein ausstrahlt, dann signalisiert mir das schon, dass es heute schwer wird gegen ihn anzutreten. Im Idealfall erzeugt er so Respekt.
Lässt sich mit Körperhaltung und Körpersprache die sportliche Leistung steigern?
In der Psychologie spricht man häufig von dem sogenannten „Psychologischen Quadrat“. Dieses hat vier Säulen, die miteinander interagieren. Die erste Säule bildet die Körpersprache oder eben das, was wir körperlich regulieren können, wie beispielsweise die Atmung. Die weiteren Säulen sind unsere Gedanken, unsere Emotionen und unser Verhalten. Wenn wir eine dieser Stellschrauben verändern, beispielsweise eine positive Körperhaltung einnehmen, wirkt sich das auf die anderen Säulen aus. Im Idealfall kann dieser Vorgang schlussendlich zu einer besseren sportlichen Leistung führen.
Wie können Sportlerinnen und Sportler Körpersprache trainieren?
Wenn wir in unserem Arbeitsumfeld an der Körpersprache arbeiten, könnte man so vorgehen, dass man die Effekte einer positiven Körpersprache erst einmal erfahrbar macht. Ich nutze dafür gerne die sogenannte „Superheldenpose“. Für die Athletinnen und Athleten heißt das dann, sich groß zu machen, die Arme in die Seiten gestemmt und den Blick nach oben gerichtet zu haben. Es gibt Erkenntnisse darüber, dass durch diese positive Körperhaltung nach rund zwei Minuten der Testosteronspiegel steigt, man also „kampfbereit“ wird und der Kortisolspiegel sinkt, die Stresshormone also geringer werden. Damit sind wir auf einen Wettkampf schon ganz gut vorbereitet. Tatsächlich ist das aber eine reine Trainingssache. Man kann den Sportlerinnen und Sportlern nicht einfach sagen „mach das so“ und dann funktioniert es, sondern man muss das wirklich immer wieder trainieren, um den Schalter irgendwann dann umlegen zu können, wenn es in den Wettkampf geht.
Gibt es Sportarten, bei denen die Körpersprache wichtiger ist als bei anderen?
Dabei muss man wahrscheinlich den Effekt spezifizieren. Wenn ich bei einer Sportart einen direkten Gegner habe, strahle ich durch Körpersprache immer etwas nach außen aus.
Und ist die Körpersprache bei Individualsportarten weniger wichtig als bei Teamsportarten?
Denken wir bei der Leichtathletik an den 100-Meter-Sprint. Auch als Individualsportler kann ich hier vor dem Start mit meinem Auftreten und meiner Körperhaltung einen Effekt beim Gegner erzielen. Dagegen geht es beim Turnen eher darum, sich selber positiv zu stimmen. Bei Teamsportarten kommt dann eben noch dazu, dass ich meine eigene Mannschaft mit meiner Körpersprache mitreißen und motivieren kann. In meiner praktischen Arbeit fällt mir jedoch auf, dass es eigentlich egal ist, aus welcher Sportart die Athletinnen und Athleten kommen. Körpersprache ist immer wichtig. Es geht ja in erster Linie darum, persönliche Leistung zu bringen, bevor man über etwas anderes nachdenken kann. Deswegen würde ich nicht sagen, dass Körperhaltung in einzelnen Sportarten wichtiger ist als in anderen.
Sie arbeiten mit Athletinnen und Athleten aus den unterschiedlichsten Sportarten zusammen. Gehen Sie dabei personen- und sportartbezogen mit unterschiedlichen Trainingsmethoden vor?
Es gibt allgemeine Ziele, die Sportlerinnen und Sportlern aus allen Sportarten vermittelt werden können. Wie bereits angesprochen sind beispielsweise die Effekte einer positiven Körperhaltung für jede Sportart wichtig. Individuell wird es dann, wenn man schaut, wie einzelne Übungen zur Vermittlung einer positiven Körperhaltung bei den verschiedenen Personen funktionieren. Schaut man zum Beispiel in eine Fußballmannschaft, gibt es dort viele verschiedene Charaktere. Die Extrovertierten, die sowieso schon voran gehen haben möglicherweise kein Problem, sich vor dem Spiel nochmal groß zu machen. An einen eher introvertierten Spieler muss man dann gegebenenfalls aber anders rangehen.
Wer fällt Ihnen mit einer besonders positiven Körperhaltung ein?
Da muss ich immer an Bastian Schweinsteiger denken. Schweinsteiger im Fußball WM-Finale 2014 in Brasilien. Der hat mit blutigen Macken im Gesicht weitergespielt und hat trotzdem immer noch eine pushende und aggressive Körpersprache eingenommen. Dem Gegner hat er damit gezeigt, „wir sind immer noch da und werden bis zum Ende kämpfen“. Er hat dadurch sicherlich auch seine gesamte Mannschaft mitgezogen. In der Leichtathletik denke ich an Usain Bolt. Dieser hat vor den Wettkämpfen immer eine gewisse Lockerheit ausgestrahlt, „Faxen“ gemacht, aber war dabei trotzdem sehr präsent. Das hat er zu einer eigenen Masche entwickelt und signalisierte damit den Gegnern, dass er das Ding sowieso gewinnen wird.
Oftmals sieht man Cristiano Ronaldo mit breiten Beinen tief durchatmend vor dem Freistoß stehen. Ist das ein effektives Einsetzen von Körpersprache oder nur Wichtigtuerei?
Ich glaube, da spielen verschiedene Facetten mit rein. Ich kenne viele, die Ronaldo wegen seiner vermeintlichen Arroganz nicht mögen. Meines Erachtens ist das Verhalten vor dem Freistoß jedoch keine Arroganz, sondern ein Ritual. Dieses Prozedere wiederholt er immer. Das ist kognitiv ein großer Vorteil, wenn er bei einer solchen standardisierten Situation immer denselben Ablauf vollzieht. Ich denke, dass ein solcher Automatismus die Erfolgschance erhöhen kann. Er strahlt damit zudem aber auch eine positive Körpersprache aus, die bei dem einen oder anderen Gegenspieler auch Wirkung zeigen wird. Unabhängig vom sportlichen Nutzen dieses Verhaltens spielt dann bei der ganzen Geschichte möglicherweise auch das Thema Marke mit. Das sind für mich die drei Bereiche, die er aus meiner Perspektive eines Außenstehenden versucht, abzudecken.
Wird das Mentaltraining im Spitzensport immer noch unterschätzt?
Dass Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, Vereine und Verbände auf sportpsychologisches Training zurückgreifen, ist in den vergangenen Jahren auf jeden Fall mehr geworden. So richtig etabliert ist es hier in Deutschland dennoch noch nicht überall. Schauen wir in die USA, ist das im Vergleich zu uns noch ein himmelweiter Unterschied. Da muss man sich nur anschauen, wie viele sportpsychologische Betreuerinnen und Betreuer die US-Mannschaft zu den Olympischen Spielen begleiten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es in Deutschland immer noch vereinzelt das Denken gibt, es erst dann mit einer Sportpsychologin oder einem Sportpsychologen zu versuchen, wenn ich Probleme habe oder etwas nicht läuft.
Wie sollte das Mentaltraining stattdessen eingesetzt werden?
Aus Sicht der in der Sportpsychologie arbeitenden Menschen sollte das Mentaltraining mehr als eine Feuerwehrfunktion darstellen, auf die zurückgegriffen wird, wenn es aktuell sportlich nicht läuft. Es sollte vielmehr ein begleitendes Training sein, um die Leistungen konstant zu halten oder möglicherweise zu steigern. Das ist für mich immer noch eine Stellschraube, an der gedreht werden müsste. Der Kopf ist ein ebenso wichtiger Faktor im Hochleistungssport wie das körperliche, taktische und regenerative Training. Für mich ist es sehr wichtig, meinen Athletinnen und Athleten zu vermitteln, dass sie keine „Problemfälle“ sind, wenn sie sportpsychologisches Training in Anspruch nehmen. Für mich ist das eher ein Zeichen von Professionalität.