Atemberaubende Sprünge, halsbrecherische Manöver und Adrenalin-Junkies, die alles für den Nervenkitzel tun würden. Die Geschichte des „freien Skifahrens“ hat viele Facetten. Von steilen Tiefschneehängen über penibel bearbeitete Snowparks, bis hin zum Grinden auf urbanen Treppengeländern. Seit den Anfängen hat sich vieles verändert. In einer Szene voller Freiheit, Bergluft – und Kommerz.
Mit auffälliger Bekleidung und farbigen Irokesen-Frisuren machten die Pioniere des Freeskiings um Glen Plake Anfang der 1980er Jahre die amerikanischen Pisten und vor allem das angrenzenden Gelände unsicher. Das Freeskiing veränderte das von Regeln geprägte Skifahren der damaligen Zeit grundlegend. Der Spaß rückte in den Vordergrund und verbannte den Wettkampf mit all seinen Regeln ins Abseits. Das regelkonforme Skifahren auf präparierten Pisten wurde revolutioniert und aus Abfahrts- und Buckelpistenrennen entstanden Sprünge über Felsformationen und Drehungen um die eigene Körperachse.
Ein Name, der im Zusammenhang mit der Entstehung des Freeskiings oft genannt wird, ist Scott Schmidt – der erste professionelle Extremskifahrer. Der gebürtige US-Amerikaner brachte das Skifahren in eine neue Dimension. Dieses unterhaltende und extreme neue Skifahren fand auch bei „klassischen“ Skifahrern schnell Anklang. Ein Hype entstand und mit ihm die ersten Filme. Den Anfang machte bereits 1988 „The Blizzard of Aahhh´s“: Drei verrückte Männer zogen um den Globus, um an den entlegensten Orten Ski zu fahren. Sie wollten ein Zeichen setzen und brachen aus der normalen Welt des damaligen Skifahrens aus. Mit Sprüngen über Felsen und atemberaubenden Tiefschneeaufnahmen wurden die Zuschauer beeindruckt.
Während der 1990er Jahre dominierte noch das Snowboarden den extremen Wintersportbereich. Das zur damaligen Zeit neuartige Surfen auf Schnee faszinierte die breite Masse und wurde schnell zur Trendsportart. 1993 war aber auch ein wichtiges Jahr für die Entwicklung des Freeskiings. Der Extremsportler Shane McConkey, der damals noch an Buckelpistenrennen teilnahm, revolutionierte das Skifahren in Wettkämpfen und schloss sich als außerordentlich talentierter Extremsportler der Freeski-Bewegung an.
Mit spektakulären Sprüngen und gefährlichen Abfahrten an steilen und unverspurten Hängen brachten McConkey und auch Jeremy Nobis das neu entstandene Skifahren auf ein höheres technisches Level. Es war McConkey, der als einer der ersten einen extrem breiten Ski im Tiefschnee fuhr, um besseren Auftrieb zu erhalten. Durch das ständige Filmen ihrer halsbrecherischen Manöver erreichten sie und das Freeskiing Popularität, so dass Mitte der 1990er Jahre vom Skihersteller Salomon der erste Twintip-Ski entwickelt wurde. Durch die Biegung des Skis am hinteren Ende ermöglichte dieser dem Freeskier das Rückwärtsfahren. Dies entpuppte sich als Meilenstein der Freeski-Entwicklung, denn endlich konnte Freeskiing dem Snowboardtrend der 1990er Jahre entgegentreten.
Mit den neuen Skiern war es möglich, die Snowparks mit Schanzen und Geländern zu befahren und durch die Vielfalt an möglichen Trickvarianten sogar dem Snowboarden Konkurrenz zu machen – die Ära des „Newschool“ Skifahrens war begründet. Die Entwicklung nahm nun Fahrt auf und fand hauptsächlich in den damaligen Snowboardparks statt. Die Anzahl der Skifahrer in diesen Parks wurde größer, das technische Niveau stieg rapide an. 1996 gelang dem schwedischen Freeskier Jon Olsson mit seinem Kangaroo-Flip ein bis dahin noch nie gesehener Trick: Zwei schräg gedrehte Rückwärtssaltos mit einer gleichzeitig ausgeführten zweieinhalbfachen Vertikalrotation.
2001 fanden die ersten Winter-X-Games mit der Disziplin Freeskiing statt. Die X-Games sind bis heute eines der angesagtesten Extremsportevents der Welt. Fahrer wie die Amerikaner Tanner Hall und Simon Dumont machten sich durch ihre erfolgreiche Teilnahme einen Namen. Hall gelang es sieben Goldmedaillen zu gewinnen.
Die folgende Ära des Internets hinterließ auch in der Entwicklungsgeschichte des Freeskiings Spuren. Der Amerikaner Tom Wallisch konnte durch seine beliebten Videos im Netz namhafte Sponsoren gewinnen. Diese unterstützten ihn finanziell und materiell, so dass er sich im Laufe der Zeit zu einem der besten Freeskier der Welt entwickelte. 2010 katapultierte Bobby Brown die Entwicklung des Sports in bisher unerreichte Höhen – ihm gelang es als erstem, einen „Triple“ zu landen: Drei schräge Rückwärtssaltos mit einer Vertikaldrehung von 1260 Grad. Nicht nur dieser Trick, sondern die rasante Entwicklung und die immer größer werdende mediale Präsenz rund um das Freeskiing führten letztendlich dazu, dass die Sportart erstmals als olympische Disziplin anerkannt wurde und in Sotschi 2014 Premiere feierte.
Bei einer Extremsportart wie dem Freeskiing blieben jedoch auch die Schreckensmeldungen nicht aus. So wurde die Szene und der Rest der Welt im März 2009 vom Tod Shane McConkeys erschüttert. Als einer der Pioniere des Freeskisports kam er beim Versuch ums Leben, mit Skiern an den Füßen einen Base-Jump-Sprung auszuführen. Er hatte das Freeskiing mitbegründet und versuchte sein Leben lang, den Sport auf ein neues Level zu hieven. Auch der Tod der kanadischen Halfpipe-Freestylerin Sarah Burke 2012 hinterließ bei allen Wintersportfans traurige Erinnerungen. Burke erlag nach einem schweren Trainingsunfall ihren Verletzungen.
Die Schreckensmeldungen waren auf dem Weg zur olympischen Premiere allerdings nicht das einzige, was die noch junge Sportart auf die Probe stellte. Mehrere wichtige Persönlichkeiten wie Hall verweigerten ihre Teilnahme am eigentlichen Highlight im Leben jedes Sportlers. Halls Argumentation und auch die vieler Fans war, dass der Sport durch eine solche Kommerzialisierung seine ursprünglichen Grundsätze verlieren würde. Im Vordergrund müsse der Spaß, die Unbekümmertheit stehen – nicht der Wettkampf.
Außerdem argumentierten die Olympia-Gegner, das Freeskiing könne nicht adäquat bewertet werden. Jeder Athlet habe einen individuellen Style und jeder erfände ständig neue Trickvariationen. Für die Jury sei es deshalb äußerst schwer, die Leistung der Athleten entsprechend zu honorieren und nach einheitlichen Richtlinien und einem Regelwerk über Leistungen zu entscheiden.
Der Snowboard-Sport hatte bei seiner Premiere bei den Spielen 1998 ähnliche Probleme. Terje Haakonsen, damals dreimaliger Champion in der Halfpipe, boykottierte die Wettkämpfe in Nagano. Er wollte seinen Sport nicht verkaufen und verglich das Internationale Olympische Komitee (IOC) und den Ski-Weltverband FIS mit der Mafia. Die Internationale Snowboard Föderation (ISF) wurde damals durch die FIS ersetzt. Für Haakonsen völlig absurd, da diese bis dato nichts mit Snowboarden zu tun hatte. 2002 musste die ISF den Betrieb gänzlich einstellen, da sie gegenüber der FIS Sponsoren und Einfluss verloren hatte.
Eine ähnliche Entwicklung fürchtet nun auch ein Teil der Freeskiing-Bewegung. Das Ziel der Olympia-Kritiker ist es, die Sportart nach den eigenen Gedankengängen fortzuführen und weiter aufzubauen. Grundlage dafür ist Abstand zu Geld, Macht und damit zu großen Organisationen und Ereignissen.
Allerdings bewerten vor allem die meisten aktiven Fahrer die Aufnahme in das olympische Programm positiv. Die Wettbewerbe in Sotschi waren der Publikumsmagnet schlechthin. Die meist jungen Fahrer konnten sich der Welt im Rampenlicht präsentieren. Argumentiert wird auch mit der ohnehin fortschreitenden Kommerzialisierung des Sports durch länger bestehende Großereignisse wie den X-Games. Diese Events hätten nichts an der Sportart verändert, sondern sie im Gegenteil der breiten Bevölkerung näher gebracht. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen hat diesen erwünschten Effekt sicherlich nicht verfehlt. Es ist durchaus gelungen das Slopestyle-Skifahren den Wintersportfans näher zu bringen, und es ist sogar gelungen in diesen Kreisen für Begeisterung zu sorgen.
Jedoch dürfen die Argumente der Gegner nicht vernachlässigt werden. Die meisten, die dieser Gruppe angehören, sind erfahrene Freeskier, die ihr Leben dem Sport gewidmet haben. Es ist verständlich, dass sie die eigentlichen Werte bewahren wollen. Für die Zukunft des Sports werden sich beide Seiten respektieren und Hand in Hand weiterentwickeln müssen. Dieser Prozess ist noch lange nicht zu Ende – die Zeit der Veränderungen hat gerade erst begonnen.
Janek Vöhringer
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