Mixed Martial Arts hat Einzug in vielen Kampfsportstudios in Deutschland gefunden. Erst seit Anfang der 1990er Jahre gibt es die ersten MMA-Studios für diese junge Sportart. Die Reaktionen darauf sind gespalten. Manche können mit dem Buchstabensalat „MMA“ nichts anfangen. Andere wiederum sehen den Vollkontaktsport mit großer Skepsis: Beinahe verniedlichend klingt der Begriff „moderne Gladiatoren“, wie ihn Peter Danckert, ehemaliger Vorsitzender des Sportausschusses des Bundestags, verwendet hat. Dann gibt es diejenigen, die vom Facettenreichtum und der Komplexität des Sports begeistert sind. Wie die beiden MMA-Kämpfer Tino aus Dresden und Stefan aus Nürtingen, die sich gegen diese Vorurteile wehren.
Das antike MMA hat seine Ursprünge bereits 700 v. Chr. unter dem Namen „Pankration“. Unter dem Begriff vereinten die Griechen als Teil der Olympischen Spiele Boxen und Ringen. Im Lauf der Zeit entwickelten sich die aus den für den Krieg genutzte Kampfkünste zur Unterhaltung von Zuschauern. Die Wurzeln des modernen MMA liegen in Brasilien, als sich das „Vale tudo“, zu Deutsch „alles ist erlaubt“, gegründet hat. Elemente des Judo und Brazilian Jiu-Jitsu wurden vermischt und zusätzlich mit Tritten und Schlägen zu einer Vollkontaktsportart erweitert. Auswanderer in die USA verbreiteten die Sportart rasant. In den Staaten ist sie heutzutage beinahe so beliebt wie in Deutschland Fußball. Der Verband UFC (Ultimate Fighting Championship) organisiert im professionellen Rahmen Wettkämpfe.
Nach Deutschland schwappte die Welle der Kampfbegeisterung erst Anfang der 1990er Jahre. Wie hat sich die bis dahin noch junge Sportart entwickelt? „Es hat sich viel verändert“, erklärt Tino. Waren vor 20 Jahren die Regeln noch freier, wurden sie bis heute deutlich strenger formuliert. „Im Bodenkampf sind Kniestöße und Tritte zum Kopf verboten, Ellbogen- und Fauststöße zum Kopf sind jedoch noch erlaubt. Im Stand darf allerdings mit Knie, Fuß, Ellbogen und Faust zum Kopf getreten und gestoßen werden. Nur die Nieren und die Wirbelsäule dürfen nicht getroffen werden und Griffe in Augen, Ohren und sämtliche Körperöffnungen und das Ziehen an den Haaren sind auch verboten“, so Stefan zu den Regeln. Vermieden werden soll auf alle Fälle ein Unfall wie 1998 in Kiew, als der MMA-Kämpfer Douglas Degde nach einem Kampf starb. Nach einer schweren Kopfverletzung kämpfte Dedge sofort weiter, weil er dachte, die Verletzung sei bereits verheilt. Ärzte warnen, mit solch einer Verletzung Vollkontaktsport weiterhin zu betreiben, da es zu tödlichen Folgen kommen kann.
Deshalb wurden auch die Regeln verschärft und an das international geltende Regelwerk der Unified Rules of Mixed Martial Arts angeglichen. Vor vier Jahren wurde zudem ein einheitliches internationales Regelwerk von Ärzten und Kampfsportexperten der Nevada State Athletic Commission eingeführt. Diese überarbeiteten Regeln besagen, dass zum Schutz des Kämpfers das Stoßen mit dem Knie im Bodenkampf verboten, mit dem Ellbogen es allerdings weiterhin erlaubt ist. Außerdem wird der Sportler vor jedem Kampftag von einem Arzt auf seine Kampftauglichkeit untersucht. Seitdem sind die Verletzungen deutlich zurückgegangen. Auch bei Tino und Stefan. „Ich bin noch verschont geblieben von schlimmen Verletzungen, alle Bänder noch heil. Außer ein paar Kratzer und Schürfwunden im Gesicht habe ich nichts. Und die für einen Ringer typischen Blumenkohlohren nicht zu vergessen“ resümiert Stefan. Bei Tino sieht es gesundheitlich ebenfalls gut aus. „Ich kräftige meine Muskeln und stabilisiere so meine Bänder und Sehnen, damit ich mich erst gar nicht so stark verletzen kann. Nur mit den Gelenken habe ich ein bisschen Probleme, aber das hat doch jeder Sportler.“
Wie sieht ein Kampf heute aus? Es ist nicht das aufeinander Einschlagen wie in Filmen wie „Fight Club“, sondern ein bunter Mix an verschiedenen Sportarten. „Das Faszinierende ist das Unerwartete“, so Stefan. Denn der Ablauf, wie ein Kampf sich entwickelt, ist nicht vorgegeben. Es hängt davon ab, in welcher Sportart sich jeder Kämpfer spezialisiert hat. So kämpft ein Judoka gegen einen Boxer anders, als ein Thai-Boxer gegen einen Ringer. „Jeder Kampf ist anders – wie er abläuft, merkst du erst, wenn er beginnt“, sagt Stefan mit einem wissenden Lächeln. Tino und Stefan kommen ursprünglich aus anderen Sportarten. Der Dresdner hat bereits als Siebenjähriger mit Wing Tsun (Selbstverteidigung) und anschließend Thai Boxen begonnen. Stefan ist ursprünglich Boxer. Jeder Kämpfer hat sich spezialisiert, trotzdem ist es wichtig, alle Sportarten zumindest in Grundzügen zu beherrschen. Ein Ringer zieht den Bodenkampf dem Stand vor, da er hier Vorteile hat. Ein Boxer denkt da genau anders rum. „Und genau deshalb muss man als MMA-Kämpfer immer konzentriert und wachsam sein“, betont Tino. Sobald ein Spezialist einer Kampfsportart seinen Hebelgriffe oder Würgetechnik hat, ist der Gegner im Nachteil. Um einen Vorteil zu erzielen, muss der MMA-Kämpfer in „Submission“ sein, also den Gegner zur Aufgabe zwingen. Aufgegeben werden kann durch Abklopfen, das „Tap out“, Knockout, „Corner Stoppage“ (die eigene Ringecke bricht den Kampf ab), Decision (Kampf geht über die volle Rundenzeit und Sieger ist der aktivere Kämpfer) oder durch den Kampfrichter bzw. Ringarzt (Doctor Stoppage). Bewertet werden die Runden nach dem „Ten-Point-Must-System“, das auch im Profiboxen angewendet wird. Es besagt, dass der Sieger zehn Punkte, der Verlierer neun Punkte und bei Unentschieden beide Kämpfer zehn Punkte erhalten. Zusätzlichen Punkteabzug gibt es bei erlittenen Niederschlägen.
„Viele Sportler wissen nicht, wo ihre Grenzen liegen und wann sie aufgeben sollten. Daher verletzen sich so viele. Aber das ist oft falscher Stolz“, ärgert sich Stefan. „In den Medien wird daher zu negativ über unseren Sport berichtet. Aus diesem Grund ist das Image des MMA in Deutschland so schlecht.“ Da die Regeln dahingehend verändert wurden, dass es maximal fünf Runden à fünf Minuten gibt und der Kampfrichter den Kampf für beendet erklärt, sobald ein gesundheitliches Risiko entsteht, wurde das Verletzungsrisiko damit in den letzten Jahren minimiert. Doch Stefan räumt auch ein, dass er keinesfalls möchte, dass Kampszenen außerhalb des Rings nachgeahmt werden. Deshalb ist auch für Minderjährige der Zutritt zu MMA-Wettkämpfen verboten. Besonders in den USA, wo der Sport auf einem ganz anderen Niveau und professionell betrieben wird, können Kampfszenen sehr blutig und brutal aussehen. Daher wird Athleten seitens der Trainer von Anfang an ans Herz gelegt, „dass solche Handlungen nur im sportlichen Wettkampf oder zu Selbstverteidigung dienen“. Für Stefan ist es zudem wichtig, dass Kämpfe nicht nur über Bilder oder Videos nachgeahmt werden, ohne den sportlichen Hintergrund zu kennen, sondern dass man sich zuvor intensiv mit dem Sport auseinander setzt und auch die Gefahren, die eine Vollkontaktsportart mit sich bringt, abwägt.
Da das Schlagen im Bodenkampf erlaubt ist, sind in Deutschland Fernsehübertragungen verboten. Zwar besitzt Sport1 die Ausstrahlungsrechte, jedoch werden keine Kämpfe gesendet. Trotzdem sieht Tino die Zukunft ihrer Sportart positiv. „Allmählich wird MMA in Deutschland durch zahlreiche neueröffnete Studios bekannter und bietet somit Interessierten die Chance, sich eine eigene Meinung über MMA zu verschaffen. Ich bin mir sicher, dass die Gesellschaft unseren Sport eines Tages akzeptieren wird.“
Brigitte Mellert
- 106 – Der Film - 3. November 2014
- Textile Sport-Performance - 29. Oktober 2014
- Mercedes-Benz Arena – eine enorme Entwicklung - 6. Oktober 2014