An der Stellung als Randsportart hat sich in der 20-Jährigen Geschichte des deutschen Lacrosse nicht viel geändert. Trotz einer konstanten Verbreitung, ist es noch ein weiter Weg zu einer Professionalisierung des Sports in Deutschland.
Spieltag der zweiten Liga im Lacrosse. Es ist laut auf dem Kunstrasen neben der Paul-Horn-Arena in Tübingen. Auf dem Platz stehen sich 20 junge Männer mit ihren Schlägern, den so genannten Sticks gegenüber. Es spielt die TSG aus Tübingen gegen Zeppelin Lacrosse aus Friedrichshafen. Geschützt durch einen speziellen Helm, Handschuhen und Armschonern wird um einen kleinen Hartgummiball gekämpft, der in ein 1,8 Meter großes Tor befördert werden soll. Lacrosse wird gerne mit Hockey verglichen, nur dass der Ball in der Luft hin und her gespielt wird und der Körpereinsatz deutlich rauer ist. Mit den Sticks, in denen Netze gespannt sind wird der Ball in Richtung Tor gepasst oder befördert. Die verteidigenden Spieler dürfen ihre Gegner durch „Checks“ vom Ball trennen. Das sind unter anderem Schläge auf den Stick oder den Unterarm. Beim Spielstand von 5:2 für Friedrichshafen geraten zwei Spieler aneinander. Helm an Helm beschimpfen sie sich, bevor sie von den Schiedsrichtern eine zwei-Minuten-Strafe bekommen. „Das kann beim Lacrosse schon mal vorkommen“, sagt der erfahrenste Tübinger Spieler und Trainer Jan Litzbarski nach dem Spiel und fügt hinzu: „Lacrosse ist eben sehr intensiv und emotional.“
Lacrosse hat seine Ursprünge bei den Ureinwohnern Amerikas. Erst 1850 wurde das Spiel auch bei den Nachfahren der Einwanderer populär. Die ersten geregelten Mannschaften und Wettbewerbe gab es in Montreal, dann breitete sich die Sportart auf die Region der Großen Seen und die Städte der amerikanischen Ostküste aus. Die Verbreitung außerhalb Kanadas und den USA verlief unterschiedlich. Während Länder wie England und Australien das Spiel schon Ende des 19. Jahrhunderts übernahmen, entdeckten es Menschen in Asien und Mitteleuropa erst in den letzten 20 Jahren – so auch in Deutschland. Die Wurzeln liegen in der Hauptstadt. 1993 wurde in Berlin die erste deutsche Lacrosse Mannschaft gegründet. Über Jahre hinweg übernahmen die Berliner die Aufbauarbeit des Sports in Deutschland und stellten eine Art Verband dar. „Der Berliner Lacrosse Verein unterstützte Anfang der 90er Jahre den Aufbau neuer Mannschaften“, sagt der Vorsitzende des Berlin Lacrosse Björn Wulfmeyer. Die Unterstützung lag vor allem im Bereitstellen der Ausrüstung und in der Weitergabe des Spielwissens. Erst 1998 wurde der Deutsche Lacrosse Verband (DlaxV) gegründet. Mittlerweile gibt es 47 Teams in Deutschland, die in der ersten und zweiten Bundesliga regelmäßig gegeneinander antreten. „Es hat sich viel getan seit der Gründung des Verbandes“, sagt der Pressesprecher des Deutschen Lacrosse Verbands Sebastian Scheidt und fügt hinzu, dass Lacrosse auf einem guten Weg sei in der Sportlandschaft Anerkennung zu gewinnen. Als nächstes großes Ziel sieht Scheidt den Beitritt zum Deutschen Olympischen Sportbund.
„Als es noch keinen Verband gab, gab es nur vereinzelte Turnierwochenenden. Mittlerweile klappt es mit dem Ligabetrieb schon richtig gut“, stellt Wulfmeyer fest. Auch die Entwicklung bezüglich der Verbreitung lobt der Berliner. So haben großen Vereine, wie Stuttgart, München, Hamburg und Berlin schon einiges in der Jugendarbeit erreich, was dafür spricht dass Lacrosse bald noch breiter angeboten werden kann. Probleme sieht Wulfmeyer beim Umgang mit dem wenigen Geld, das der Verband zur Verfügung hat: „Ich würde mir wünschen, dass das Geld genutzt wird, um den Sport hier vor Ort in den Vereinen voran zu bringen. Stattdessen wird zu viel Geld dafür verschwendet, den Deutschen Lacrosse Verband international zu präsentieren“.
Auch Jan Litzbarski, der seit der Gründung des Tübinger Lacrosse Vereins 2007 dabei ist, erkennt eine Entwicklung des Spiels: „Seit wir in Tübingen angefangen haben, wird der Sport in Deutschland immer professioneller. Trotzdem kann immer noch etwas verbessert werden. Vor allem bei den Auf- und Abstiegsregeln.“ Wegen den unterschiedlichen Vereinsstrukturen, einem starken Leistungsgefälle und finanziellen Mittel der deutschen Vereine, gibt es keine geregelten Auf- und Abstiegsvorgänge. „Es wirkt auf Außenstehende komisch, wenn es heißt, dass die Ligasitzung entscheidet, ob wir aufsteigen dürfen“, sagt Litzbarski. Derzeit dürfen die Meister der verschiedenen zweiten Ligen aufsteigen. Viele verzichten jedoch auf den Aufstieg, da sie sich sportlich, organisatorisch und finanziell nicht in der Lage sehen mit den großen Teams in Deutschland mitzuhalten. In den USA läuft der Ligabetrieb um einiges professioneller, trotzdem hat sich die Sportart auch dort nicht durchsetzen können.
Ein elitärer Sport – Lacrosse in den USA
Lacrosse ist Denny Crenshwas Leben. Der 20-jährige Student aus San Diego in den USA hält schon seit fünf Jahren fast täglich den Stick in der Hand. Groß gebaut, kompromisslos in der Verteidigung und seine Übersicht im Spiel- diese Kombination brachte ihm ein Sportstipendium am Rochester Institute of Technology in New York ein. „Ich spiele zwar nur in der dritten Division, aber trotzdem haben wir sechs bis sieben Mal Training in der Woche und das in mehreren Einheiten am Tag.“ Obwohl es das Geburtsland des Sports ist, hält sich in den USA die Begeisterung für Lacrosse in Grenzen. „Lacrosse liegt in der Beliebtheit weit hinter den großen amerikanischen Sportarten. Der Sport hat zwar schon Entwicklungen gemacht, trotzdem wird Lacrosse in den nächsten 20 Jahren den anderen Sportarten keine Konkurrenz machen“, sagt der bullige Kalifornier. Einen Grund, warum sich an der Lage des Sports in den USA nicht viel ändern wird, weiß Crenshaw auch: „Es ist nicht das Ziel eines Collegespielers in die Profiliga aufzusteigen. Das liegt vor allem an dem wenigen Geld, das man in der Profiliga verdient.“ Die schlechte Bezahlung steht im Zusammenhang mit dem mageren medialen Interesse. Obwohl Lacrosse ein schnelles und hartes Spiel ist, hat das Spiel in USA keinen festen Platz in der Medienlandschaft. Eine Erklärung ist der elitäre Ruf des Sports. Lange Zeit waren es ausschließlich Eliteuniversitäten, die Lacrosse spielten. Mittlerweile hat sich der Sport in den USA in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. So vermutet Crenshaw: „Ich denke Lacrosse hat diesen schlechten Ruf, weil es noch nicht zu jedem vorgedrungen ist. Durch die Professionalisierung der Profiliga wird das aber in Zukunft besser werden“. Wie lange der schlechte Ruf an dem Sport in den USA haften wird, bleibt offen.
Selbstfindung einer Sportart
In Deutschland hat der Sport nicht diesen Ruf. Davon ist zumindest Sebastian Scheidt überzeugt: „Ich glaube nicht an eine solche Entwicklung. Der Sport ist noch weit von einem elitären Ruf entfernt. Doch sicherlich würde die Nähe zu einer elitären Sportart wie Hockey dem Sport gut tun, nicht zuletzt, da hier finanzstarke Eltern vertreten sind, die es ihrem Nachwuchs ermöglichen können, Equipment zu kaufen und Auswärtsspiele zu bestreiten.“ Jan Litzbarski betrachtet das Problem aus einem anderen Blickwinkel und erklärt, dass gerade wegen den teuren Ausrüstungen Lacrosse bis jetzt in Deutschland ein Akademikersport sei. „In vielen Vereinen fehlt der breite Zugang für Nicht-Studenten“, sagt Litzbarski. Tatsächlich haben nur die großen Vereine aus München, Stuttgart, Berlin und Hamburg ein Angebot für Jugendliche. Dem Großteil der Vereine fehlt dazu die Mittel. Diese Mannschaften sind fast ausschließlich mit Studenten oder ehemalige Studenten besetzt. „Ich wurde von einem Amerikaner schon gefragt, ob Lacrosse in Deutschland, wie in den USA, als Nazisport bezeichnet wird“, verrät Wulfmeyer. „Diese Geschichte kann man zwar nicht auf alle Amerikaner beziehen aber es zeigt welchen schlechten Ruf das Spiel in den USA hat.“ Er selbst glaubt, dass Lacrosse in Deutschland von einem elitären Ruf weit entfernt ist. Um das weiterhin aufrecht zu erhalten, hält der 28-jährige die Jugendarbeit für das beste Mittel.
Ein letzter Angriff mit einem Verzweiflungswurf aus Tübinger Reihen. Der Ball fliegt weit über das Tor ins Aus. Tübingen muss sich Friedrichshafen geschlagen geben. Mit 9:6 haben die Jungs aus Friedrichshafen den Ligakonkurrenten besiegt. Die Gemüter beruhigen sich, der Adrenalinspiegel sinkt und die Spieler geben sich nach dem Kampf die Hand. Auch die beiden Streithähne vertragen sich wieder. Trotz der Niederlage sind die Jungs der TSG gut drauf und beenden den Spieltag mit einem Mannschaftsfoto und Bier. Dass sich ihre Sportart weiterentwickelt hat in den letzten zwei Jahrzenten, steht außer Frage. Der Verband hat einiges vor, um diesen Trend weiterzuführen und Fuß zu fassen in der deutschen Sportlandschaft und dem Deutschen Olympischen Sportbund. Angesichts der fehlenden finanziellen Mittel, der beschränkten Jugendarbeit und dem Ruf als Studentensport, wird dies keine leichte Aufgabe.
Emanuel Hege, Bilder: Sacha Walther, Sport-Px.de
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