Ein Gespräch mit dem Gesundheitswissenschaftler, Bewegungstrainer und Autor Thomas Frankenbach über Persönlichkeitsentwicklung durch Sport.
Dass Sport nicht nur auf den Körper, sondern auch auf den Geist wirkt ist bekannt. Jeder kennt den Effekt eines Work-Outs nach einem langen, stressigen Tag. Im gesamten Körper macht sich eine Art von Leichtigkeit und Freiheit breit. Das Training, ob es nun eine Joggingrunde um den Block oder eine intensive Bodybuilding-Einheit war, hat auf wundersame Weise alle Last vom Körper, aber eben auch aus dem Kopf genommen. Leider ist dieser Effekt spätestens am darauf folgenden Morgen, wenn der Wecker klingelt, verflogen.
Sport hebt die Stimmung, Sport hilft bei Stress und Sport hält uns fit. Doch was kann die beliebteste Nebenbeschäftigung der Menschen noch? Sie kann uns sagen, wer wir sind. Davon ist Thomas Frankenbach, Gesundheitstrainer und Bewegungswissenschaftler, überzeugt. Als Autor des Buchs „Warum Läufer beharrlich sind und Surfer das Leben genießen“, kennt der Karatesportler zahlreiche Perspektiven, die uns der Sport zur Persönlichkeitsentwicklung bietet.
Herr Frankenbach, in Ihrem Buch führen Sie uns in die psychologischen Dimensionen des Sports ein. Sie sagen selbst, die im Rahmen Ihrer Promotion entstandene Publikation sei ein „Hinschau-Buch“, eine Art Anleitung. Was ist genau die Intention Ihres Buchs mit dem Titel „Warum Läufer beharrlich sind und Surfer das Leben genießen“?
Ich glaube eben, dass es mehr Dimensionen im Sport gibt als die rein körperliche. Häufig konstruieren wir uns fein säuberlich, wenn auch unbewusst, die Motivation Sport zu betreiben. Natürlich wollen wir fit bleiben, in Form bleiben und so weiter, ich glaube jedoch, dass hinter diesen Konstruktionen unterbewusst noch andere Intentionen stehen. Dies ist eine sehr wichtige Dimension des Sports, welche – würden wir versuchen ihr Beachtung zu schenken – unsere Entwicklung sehr günstig beeinflussen kann.
Sie möchten also Sportler darauf hinweisen, dass der Sport eine psychische Komponente hat, welche die Persönlichkeit bestärkt. Doch dürfte vielen bereits bekannt sein, dass Fußball Teamgeist fördert und Joggen eine gute Möglichkeit ist, Stress abzubauen und sich vom Arbeitsalltag zu erholen. Was steckt noch hinter Ihren Ausführungen?
Nehmen wir einfach mal den tiefenpsychologischen Aspekt mit hinein. Haben Sie schon mal vom sogenannten Adoniskomplex gehört? Der amerikanische Sportprofessor Harrison Pope hat in den 90ern festgestellt, dass seine Studenten immer muskulöser wurden. Nicht weil plötzlich alle eine andere Genetik gehabt hätten, sondern weil Jahr für Jahr der Trend stärker geworden ist, es immer mehr zum Ideal wurde, Muskeln auf zu trainieren. Das Bodybuilding ist etwas, das vor 30, 40, 50 Jahren kaum eine Rolle gespielt hat. Das waren Dinge für Jahrmarktgaukler, für ein paar durchgeknallte Freaks. Pope hat Psychogramme von seinen Studenten erstellt und soziologische Eckdaten erfasst. Dabei hat er festgestellt, dass diese Jungs, die sich starke Muskeln aufpumpen, zu einem sehr großen Anteil junge Männer waren, die entweder ohne Vater oder mit einem sehr schwachen Vater aufgewachsen sind. Ich rede nicht von körperlich schwach, sondern von der Präsenz des Vaters in der Familie und den Einflüssen auf die Erziehung und somit auf die Entwicklung des jungen Mannes. Dem Kind fehlte also ein Rollenmodell, an dem es „Vater“ oder „Mann“ lernen konnte. Mittlerweile ist das natürlich anders.
Es scheint also zusätzlich zu einem Strandkörper mit Waschbrettbauch weitere, verborgene Motive zum Kraftsport zu geben. Diese laufen allerdings unterbewusst ab. Ist es an dieser Stelle sinnvoll und nötig sich diese Prozesse bewusst zu machen, wie Sie es mit Ihrem Buch vorhaben?
Definitiv ja. Natürlich wäre es so, dass wenn Sie mit diesem Thema in einem Fitnessstudio anfangen würden, alle zuerst einmal sagen: „Da ist ja einer total durchgeknallt, das stimmt ja überhaupt nicht!“ Aber es ist doch interessant, dass hier offenbar ein Zusammenhang herrscht. Der Kraft- und Fitnesssport ist ja relativ neu auf dem Schirm, als Breitensport etwa seit den 90er Jahren. Gerade diese Generation von 18- bis 28-Jährigen ist die erste Generation, in der es normal war, dass sich der Vater verabschiedet hat. Die Zahl der Alleinerziehenden hat sich, glaube ich, in den letzten zwölf Jahren verdoppelt. Dass es sich beim Sport also nicht immer nur um eine rein körperliche Dimension wie das Schönheitsideal handelt, sondern noch etwas ganz anderes, etwas Unbewusstes mit hinein spielt, wird mit dem Adoniskomplex deutlich.
Sie regen dazu an, vermehrt über das eigene Sportverhalten nachzudenken. Doch könnte ich mir vorstellen, dass vielen der Zugang hierzu fehlt, sodass falsche, voreilige Schlüsse die Folge sind. Sollte Ihrer Meinung nach auch aktiv von Vereinen oder in einem Sportstudium an der Universität direkt auf eine Reflexion der Vielfalt des Sports eingegangen werden?
Was Vereine betrifft, bin ich mir nicht sicher, da es schon eine große Fundiertheit erfordert. Hier fehlen vermutlich die personellen Ressourcen. Allerdings glaube ich schon, dass es für Sportfachkräfte ein ganz wichtiger Aspekt wäre, das mit rein zunehmen. Es gibt ja in Ihrem Studium auch Bereiche wie Sporthistorie und Sportsoziologie, die solche Dinge beleuchten. Es besteht immer natürlich die Gefahr, das Ganze platt werden zu lassen. Nehmen wir noch einmal die Kraftsportler. Eine platte Aussage eines Übungsleiters, die alles kaputt machen würde, wäre beispielsweise: „Du machst Kraftsport, du musst den Mann in dir erlernen!“ Das wäre vernichtend und würde das Ganze natürlich ad absurdum führen. Aber wenn jemand der in der Lage ist, nach pädagogischen Grundsätzen und mit einer gewissen sozialen und psychologischen Integrität Sport zu vermitteln, wie der Sportwissenschaftler oder der Sportlehrer, kann es Sinn machen. Ich würde nicht sagen, es sei dringend notwendig, da ich nicht direkt aus der sportwissenschaftlichen Zunft komme. Dennoch wäre es sehr förderlich, denn wir haben etwas in unserer Gesellschaft aus den Augen verloren. Sport folgt bei uns dem Leistungsprinzip. Wenn es nicht um den Wettkampf geht, geht es darum die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Es hat etwas sehr an der Materie verhaftendes.
Wenn wir uns einmal die asiatischen Bewegungskünste anschauen, ist das ganz anders. Sie sind uns meiner Meinung nach in vielem sehr voraus. Es sind Kulturen, die seit 5000 Jahren bestehen, deren Wissen nicht durch Kriege oder Religionsübernahmen zerstört wurde. Kulturen, in denen der Sport nie allein der körperlichen Funktion dient, sondern immer auch dem inneren Wachstum. Ich spreche also nicht nur von Sozialverhalten, sondern auch von der Unterstützung des persönlichen Entwicklungswegs des Sporttreibenden. Diesen Part, in einer sportpädagogischen Ausbildung zu vergrößern, halte ich für absolut sinnvoll.
Gibt es Ihrer Kenntnis nach Trainer, Personal Coaches oder andere Dienstleister, die ein Sport- oder Trainingsprogramm anbieten, das sogar mit „mehr Persönlichkeit durch Sport“ wirbt?
Ganz klar, das gibt es. Das ist sicherlich auch gut, dass Personaltrainer auch auf den Geist, auf mentale Belange ihrer Klienten eingehen, die sie trainieren. Es gibt da verschiedene Herangehensweisen. Es gibt einmal Verfahren, die werden über den Menschen wie eine Schablone „drübergestülpt“, Mentalverfahren. Und dann gibt es andere, Affirmationen zum Beispiel. Gehen wir davon aus, ein Leistungssportler will sein Ziel erreichen und nimmt Hypnosestunden. Das ist gang und gäbe, das machen sehr, sehr viele. Er nimmt Hypnosestunden, in denen er letztendlich lernt, sich seine Ziele stärker vorzustellen. Das heißt, damit er also in diesem Moment, in dem er in einer Wettkampfsituation ist, in der er voller Adrenalin ist, vielleicht auch Selbstzweifel hochkommen und so weiter, seine mentale Stärke nicht verliert. Das heißt, solche Schablonenverfahren, das ist nicht negativ gemeint, sind Verfahren, die klar auf das Ziel der Leistungssteigerung oder der der Konstanz in der Leistungserbringung abzielen. Die sind absolut wirksam und bringen auch einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, das ist klar. Wenn man lernt, dass die Dinge durch mentale Vorbereitung auf so einen Wettkampf in der Regel auch besser klappen, ist das eine tolle Erkenntnis.
Aber worum es mir in dem Buch hingegen ging, das war eben nicht die Leistungssteigerung im Sport, sondern vielmehr zu versuchen, das Unbewusste, das vermeintlich Unsichtbare sichtbar zu machen. Das sind dann eher Ansätze, die normalerweise im Sport selten Einsatz finden. Die zum Beispiel aus der Psychoanalyse stammen. Ein interessantes Verfahren ist hier die Gestalttherapie, ein Verfahren, das sehr viel Körper mit reinbringt. Dabei geht’s nicht vordergründig um eine spezifische Leistungserbringung, sondern darum, dass der Mensch sich besser kennenlernt. Und wenn das der Fall ist, dann wird man – integrativ und ganzheitlich auf das ganze Leben betrachtet – in der Lage sein, sein Potenzial besser abrufen zu können. Aber wie gesagt, nicht zielgerichtet wie mit der Hypnose. Teilweise können diese Methoden natürlich sehr lange, bis hin zu Jahren dauern und sind dadurch natürlich für einen Leistungssportler in der Regel viel zu langwierig. Da muss schnell, effektiv und knackig gearbeitet werden, was wiederum den Nachteil mit sich bringt, dass eben nicht ganzheitlich und nachhaltig gearbeitet werden kann. So ist eben Leistungssport in der Regel auch nicht auf eine allgemeine Bewusstseinsbildung ausgelegt und steht damit gegensätzlich zu dem was ich in meinem Buch versuchte habe anzuregen. Nämlich nicht Ansehen und monetären Gewinn, sondern ganzheitliches Wachstum und ganzheitliche Entwicklung zu fördern.
Sie nennen in Ihrem Buch den Begriff „Erkenntnisgewinn“, der in etwa gleichbedeutend mit der ganzheitlichen Bewusstseinsbildung ist. Viele Sporttreibende stehen hier vermutlich vor Fragen. „Wo gilt es anzusetzen und wie soll ich mich nun weiterentwickeln?“ Ist es nicht möglich, dass dieser Erkenntnisgewinn auf andere Weise zu Stande kommt und das schneller und einfacher als Sie es beschreiben?
Natürlich, es ist lediglich ein zusätzlicher Weg, wie ich ihn beschreibe. Das ist keinesfalls der Königsweg, es gibt sehr viele Ebenen, auf denen man sich mit dem Sport auseinandersetzen kann, das zeigt die Sportwissenschaft. Eine Ebene kann es sein, einfach unbewusst zu handeln, ein anderer, einfach Dinge in Fachmagazinen zu lesen, Dinge in Fernsehsendungen für sich selbst aufzugreifen. Darüber kann auch Entwicklung passieren, das ist ganz klar. Indem ich den Weg hier anbiete, sage ich ja nicht, dass andere nicht sinnvoll wären. Es soll viel eher eine Ergänzung sein, eine zusätzliche Perspektive auf den Sport zeigen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ich habe ein Arbeitsmotto und das heißt: Kräfte freisetzen durch Perspektivengewinn, also Blickwinkelgewinn. Wenn wir zusätzliche Perspektiven zu unserem Weltbild dazu nehmen, dann kann das sehr bereichernd sein.
Es gibt da so einen Spruch, der sagt: „Um eine Bronzestatue, die 3,5 oder 17 Meter hoch ist zu verändern, brauche ich dieser Statue weder Gewalt mit Hammer noch mit Meißel anzutun. In der Regel reicht es schon, um diese Statue zu verändern, wenn ich selbst diesen berühmten Schritt zur Seite mache. Anders draufsehen, das ist auch Entwicklung.
Lukas Schulz
- Fünf Stunden am Abgrund - 15. Juli 2017
- Götterdämmerung im FIFA-Olymp - 18. November 2015
- Brot, Macht und Spiele - 11. November 2015