Faszination Bullenreiten: Wenn Verletzungen zur Motivation werden
Trotz unzähliger Krankenhausaufenthalte übte Will Oliphant 15 Jahre lang den Rodeo-Sport in den USA aus. Doch der Risikoritt hinterließ seine Spuren. Ein Porträt über den Bullenreiter Will Oliphant von Eric Bodemer
Im Sommer 1995 traf Will Oliphant auf einen Bullenreiter. Begeistert von dessen Erzählungen über das Bullenreiten, begleitet Oliphant ihn zum Training und durfte selbst einmal aufsitzen. „Wenn du einmal diesen Kick gespürt hast, verspreche ich dir, willst du das immer und immer wieder machen, es ist wie eine Sucht“, sagt Oliphant.
Damals hat Will als Zimmermann und Pferdetrainer gearbeitet und an den Wochenenden ist er zu Rodeos gefahren, um seinem Hobby, dem Bullenreiten, nach zu kommen.
In seinem Heimatstaat Arizona, einem Bundesstaat im Südwesten der USA ist Bullenreiten eine Traditionssportart und es gab viele Rodeos in seiner Umgebung. Er wurde schnell besser und erzielte konstant gute Platzierungen in Wettkämpfen. Jede Möglichkeit, die sich ihm bot, um zu trainieren oder zu einem Wettkampf zu fahren, nahm er wahr.
Doch der Rodeo-Sport ist hart. Stundenlange Fahrten zum Rodeo und unzählige Nächte in Hotels gehören dazu. Denn Arizona ist mit 295.254 km² fast so groß wie Deutschland. Die Rodeos finden verstreut an den unterschiedlichsten Orten statt. Auch in den Nachbarbundesstaaten Colorado, Texas, New Mexico und Utah nahm Oliphant an Rodeos teil.
„Bei größeren Rodeos muss man auch eine hohe Antrittsgebühr von mehreren hundert Dollar bezahlen und wenn du dann keinen guten Ritt hinlegst, verdienst du nichts daran“, sagt Oliphant. Zudem besteht immer das Risiko, sich zu verletzen und somit für einige Zeit auszufallen.
Veranstalter übernehmen die Krankenhauskosten
„Solltest du dich verletzen, übernehmen die Veranstalter wenigstens die Krankenhauskosten – vorausgesetzt, es ist ein professionelles Rodeo, bei dem ein Vertrag unterzeichnet wurde“, sagt Will.
Denn nicht jeder Ritt läuft reibungslos ab, berichtet der 44-jährige Ex-Bullrider: „Verletzungen sind keine Seltenheit, sie gehören einfach mit dazu. Irgendwie machen sie es ja auch spannend, denn man weiß, sollte man einen Fehler machen, kann das schmerzhaft enden. Es ist eine Art Motivation.“
Tatsächlich scheinen Wills Verletzungen ihn zu motivieren. Denn trotz unzähliger Krankenhausaufenthalte übte er den Sport 15 Jahre lang aus. Nach zirka 40 Knochenbrüchen hat er aufgehört zu zählen. Darunter waren fünf Brüche im Gesicht, die dank seines guten Chirurgen heute kaum sichtbar sind.
„Die schmerzhafteste Verletzung war der verschobene Ellenbogen, die ernsthafteren Verletzungen wie Wirbelbrüche oder Gesichtsbrüche habe ich kaum gespürt, weil ich so unter Schock stand“, sagt Oliphant.
Verursacht werden solche Verletzungen meistens durch Stürze, in seltenen Fällen kommt es vor, dass der Bulle auf den Reiter tritt, mit seinen mehreren hundert Kilogramm Körpergewicht die Knochen regelrecht zertrümmert oder den Reiter mit seinen Hörnern durch das Rondell schleudert.
Lebensgefährtin wünschte sich, dass er damit aufhört
Wills Lebensgefährtin Lindsay Davis, mit der er seit zwölf Jahren liiert ist, sieht das nicht ganz so locker: „Ich hatte viele schlaflose Nächte, in denen ich mir Sorgen um Will und seine Gesundheit gemacht habe. Ich habe mir oft gewünscht, er würde es sein lassen. Trotzdem habe ich ihn immer dabei unterstützt. Heute bin ich nur froh, dass er mehr oder weniger ganz geblieben ist.“
Einige Spuren hat der Sport bei Will hinterlassen, darunter eine steife Hüfte. Er humpelt leicht. Schrauben und Drähte lassen sein Gesicht etwas erstarren. Trotz der vielen schmerzhaften Erlebnisse bereut er es nie auf einem Bullen gesessen zu haben.
Nach elf Jahren im Rodeo-Business erhielt er einen Sponsoring-Vertrag der PBR (Professional Bull Riders) und trat bei professionellen Rodeo-Wettkämpfen an. Doch spätestens ab seinem 31. Lebensjahr zählte Oliphant zu den Älteren in der Szene und konnte sich gegen die stärkere, jüngere Konkurrenz nicht mehr behaupten.
Dennoch konnte der heute 44-Jährige immerhin die letzten fünf Jahre seiner Karriere ohne Existenzängste das Bullenreiten ausüben. „Ich beneide die jungen Bullenreiter, denn heutzutage ist der Sport so groß und man hat durch die PBR die Möglichkeit sich voll und ganz dem Sport zu widmen. Das gab es zu meiner Zeit noch nicht.“
Infobox:
Bullenreiten ist eine Reitsportart und eine Punkte-Disziplin im Rodeo. Das Rodeo stammt ursprünglich aus Brasilien, ist aber heutzutage hauptsächlich auf dem nordamerikanischen Kontinent weit verbreitet. Dabei steigt der Reiter auf den Rücken eines Bullen, um dessen Körper ein Seil gebunden ist, an dem der Reiter sich mit einer Hand festhalten darf. Mindestens acht Sekunden lang muss er sich auf dem Rücken des ausschlagenden Bullen halten und dabei eine Hand in die Luft strecken, bevor ein Signalton ertönt und er abspringen darf. Zwei Punktrichter bewerten daraufhin auf einer Punkteskala von 0 bis 100 die Aggressivität und Beweglichkeit des Bullen sowie die Haltung und Kontrolle des Reiters.
- Zwischen Risikoritt und professionellem Wettkampfsport - 6. Juli 2020