Zehn Deutsche Meistertitel, zwei Olympiateilnahmen und eine Bronzemedaille bei den Europameisterschaften 2011 in Berlin. Mit dieser eindrucksvollen Bilanz gehört Kim Bui aktuell zu den erfolgreichsten deutschen Turnerinnen. Im Interview spricht die 31-Jährige über ihre Ziele für die Olympischen Spiele 2021, die Balance zwischen Turnen und Studium und den Stellenwert des Turnens im Allgemeinen.
Frau Bui, was ist für Sie das Spannende am Turnen?
Im Turnen geht es immer um eine gewisse Perfektion. Die Dinge, die man tut, möchte man möglichst perfekt machen. Diese Perfektion kann aber nie vollständig erreicht werden, da es immer etwas gibt, das man besser machen könnte. Sich stetig zu verbessern und weniger Fehler zu machen, hat mich in der Vergangenheit immer angetrieben und motiviert.
Was war das schönste Erlebnis Ihrer Karriere?
Für mich gibt es drei Momente, die sehr erfolgreich und dementsprechend auch sehr positiv waren. Das war zum einen der Gewinn der Bronzemedaille am Stufenbarren bei der Heim-Europameisterschaft in Berlin. Das war ein großartiges Gefühl, da auch meine Familie mit vor Ort zugesehen hat. Außerdem waren der sechste Platz mit dem Team bei den Olympischen Spielen 2016 sowie die Olympiaqualifikation mit dem Team bei der Weltmeisterschaft 2011 in Tokio sehr besondere Momente, da wir als Mannschaft sehr erfolgreich waren. Diese Wettkämpfe bleiben positiv in Erinnerung, da es tolle Mannschaftsleistungen waren und wir diese Erfolge gemeinsam gefeiert haben.
Sie stecken gerade mitten in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2021. Haben Sie sich ein Ziel für Olympia gesteckt oder hat die Teilnahme in Tokio erstmal oberste Priorität?
Dadurch, dass wir uns zwar als Team qualifiziert haben, die einzelnen Plätze im Team aber noch nicht feststehen, ist mein oberstes Ziel, die Qualifikationswettkämpfe im Mai und im Juni gut zu turnen und mich damit für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Was danach kommt ist schwer zu sagen, aber für mich wäre es ein Ziel, dass wir es ins Team-Finale schaffen.
Sie haben schon zweimal an Olympischen Spielen teilgenommen. Was ist für Sie das Besondere an Olympia?
Der eigentliche Wettkampf unterscheidet sich nicht sehr stark von dem einer Weltmeisterschaft. Der Unterschied ist jedoch, dass man mit so vielen Sportlerinnen und Sportlern aus anderen Sportarten zusammenkommt. Es ist etwas Normales, dass beim Essen im olympischen Dorf ein Olympiasieger am Nebentisch sitzt. Bei Olympia ist jeder etwas ganz Großes und das macht es für mich aus.
Inwieweit wirkte sich die Corona-Krise und der damit verbundene Lockdown auf Ihre Motivation aus?
Nachdem klar war, dass die Spiele verschoben werden, bin ich schon kurzzeitig in ein Loch gefallen. Die Motivation ist aber recht schnell wiedergekommen, da die Spiele ja immer noch stattfinden, nur eben später. Ich habe das Ganze als Chance gesehen Zeit zu haben, um an meinen Schwächen zu arbeiten und mich weiter zu verbessern. Im Turnen ist man eigentlich immer damit beschäftigt, sich auf ein bestimmtes Leistungsniveau zu bringen. Jetzt mal viereinhalb Wochen (Dauer des ersten Lockdowns; Anmerkung der Redaktion) nicht in der Turnhalle zu stehen, oder zumindest nicht auf ein Ziel hinzutrainieren, hatte ich noch nie in meiner Karriere.
Empfinden Sie eine gewisse Angst vor den Spielen unter Pandemiebedingungen?
Die Olympischen Spiele sind ein riesengroßes Event. Ich hoffe inständig und bin sehr zuversichtlich, dass die Verantwortlichen alles dafür tun werden, dass es ein sicherer Ort sein wird. Sicherlich wird es strenge Maßnahmen geben, wie zum Beispiel, dass das Ganze ohne Zuschauer stattfinden wird. Das ist natürlich schade, aber wenn das nötig ist, um die Sicherheit der Menschen vor Ort zu gewährleisten, dann werde ich auch das in Kauf nehmen.
Wie sieht Ihr neuer Alltag mit Corona in Bezug auf Turnen und Studium gleichzeitig aus?
Ich schreibe gerade meine Masterarbeit im Bereich Krebs- und Immuntherapie. Da ich die Arbeit zuhause schreibe und auch nicht mehr ins Labor muss, habe ich dahingehend keine Einschränkungen. Was das Turnen betrifft, habe ich dadurch, dass ich dem höchsten Kader angehöre, die Möglichkeit normal zu trainieren. Natürlich gibt es spezielle Verordnungen, die wir einhalten müssen, aber grundsätzlich kann ich mein Training normal gestalten. Mein Alltag läuft eigentlich wie gewohnt weiter.
Wie schwer ist es für Sie die Doppelbelastung aus Studium und Turnen zu meistern?
Es ist sicherlich nicht einfach, vor allem wenn ich mir überlege, dass ich mit Technischer Biologie ein sehr zeitintensives Studium gewählt habe. Dazu gehören ein gutes Zeitmanagement, Disziplin und Fleiß. Natürlich gibt es auch Momente, in denen es einem besonders schwerfällt, aber vielleicht zeichnet es mich auch aus, dass ich mich da durchkämpfe. Das zeigt mir vielleicht auch für später, dass man durch schwierige Zeiten gehen kann.
Haben Sie schon konkrete Pläne oder Berufswünsche für die Zeit nach dem Studium?
Das ist tatsächlich noch völlig offen. Ich möchte jetzt erstmal schnellstmöglich meine Masterarbeit fertig machen und mich anschließend komplett auf das Turnen fokussieren.
Sie selbst konnten im Jahr 2020 kaum Wettkämpfe bestreiten. Was für Gefühle kommen bei Ihnen auf, wenn Sie die Wintersportler oder die Fußballer sehen, die weiterhin Ihre Wettkämpfe austragen dürfen?
Es lohnt sich nicht, sich mit diesen Sportarten vergleichen zu wollen. Zum einen sind es Outdoor-Sportarten, zum anderen sind das ganz andere TV-Zeiten und TV-Gelder, die da dahinterstehen. Da kann das Turnen einfach nicht mithalten.
Ist es für Sie frustrierend, dass die eigene Leistung medial nicht so wertgeschätzt wird?
Natürlich ist das in gewisser Weise frustrierend, aber man kann nicht wirklich etwas dagegen machen. Es gibt Lichtblicke wie bei den Olympischen Spielen, bei denen Turnen die zweithöchste Einschaltquote hat. Im Allgemeinen müsste man das Turnen nach außen einfacher beziehungsweise verständlicher darstellen. Die Regeln in anderen Sportarten, wie zum Beispiel im Fußball, sind einfacher zu verstehen und eindeutiger. Turnen ist ein Sport, der der breiten Masse nicht so zugänglich ist.
Was wollen Sie in Ihrem Leben noch erreichen?
Sowohl beruflich als auch privat möchte ich einfach glücklich sein. Wenn ich im Rentenalter auf mein Leben zurückschaue, möchte ich sagen können, dass ich stolz auf das bin, was ich erreicht habe.
Das Gespräch führte Nele Neumann
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