13,800 Punkte – damit holte sich die deutsche Turnerin Pauline Schäfer-Betz bei der Weltmeisterschaft im Oktober 2021 die Silbermedaille am Schwebebalken. Mit 5,4 Punkte in der Schwierigkeit und 8,4 Punkten in der Ausführung musste sich die Weltmeisterin von 2017 nur der Japanerin Urara Ashikawa geschlagen geben. Doch was bedeuten diese Zahlen? Und wie wird die Gesamtpunktzahl bei den Turner*innen gebildet, die über die Platzierung entscheidet?
Kunstturnen ist eine vielseitige Sportart. Es gibt fünf Geräte bei den Männern (Boden, Sprung, Reck, Barren und Pauschenpferd) und vier Geräte bei den Frauen (ebenfalls Boden und Sprung und zusätzlich Stufenbarren und der allseits gefürchtete Schwebebalken). Darüber hinaus existiert eine große Bandbreite an unterschiedlichen Elementen. Als Turner*in braucht man dafür vor allem Kraft, eine große Beweglichkeit, eine gute Haltung und viel Überwindung. Turnen ist daher keine Sportart für Jedermann. Die große Kunst für die Athleten*innen besteht darin, bei den mehrfachen Salti, Drehungen und zahlreichen gymnastischen Sprüngen durch Leichtigkeit zu überzeugen. Nur durch hartes Training erhalten die Turner*innen bei ihrer anspruchsvollen Übung und einer nahezu perfekten Ausführung eine hohe Wertung.
Doch wie kommt die Punktzahl der Kampfrichter*innen bei der Wertung zustande? Die Endnote wird durch die Addition der E-Note (Execution, d.h. Ausführung) und der D-Note (Difficulty, d.h. Schwierigkeit) ermittelt.
Für eine perfekte Ausführung der Kür kann der/die Turner*in bei der E-Note 10 Punkte erhalten. Diese Punktzahl wird nur sehr selten erreicht, da meist Abzüge bei der Ausführung, der Technik und der Haltung vorgenommen werden. Typische Abzüge bei der E-Note gibt es bei Stürzen vom Gerät, nicht ausreichend gestreckten Armen und Beinen, zusätzlichen Schritten sowie bei fehlender Dynamik oder Höhe der einzelnen Sprünge. Auch müssen die vorgegebenen Positionen eingehalten werden. Der Code de Pointage (CdP; internationale Wertungsvorschriften im Kunstturnen) gibt dabei detailliert vor, wie jedes Element geturnt werden muss.
Die D-Note setzt sich aus dem Schwierigkeitswert der einzelnen geturnten Elemente zusammen. Im CdP wird jedem Element ein Schwierigkeitswert zugeordnet – schwierige Elemente verfügen dabei über einen höheren Wert. Im CdP werden die Elemente nach Kategorien von A bis G unterteilt. Die Turner*innen erhalten somit für ein Element der Kategorie A (z.B. eine ganze einbeinige Drehung auf dem Schwebebalken) 0,1 Punkte. Für ein Element der Kategorie G (z.B. ein Salto rückwärts mit ganzer Schraube auf dem Schwebebalken) erhält die Turnerin 0,7 Punkte. Neben den zehn höchsten Elementwerten vergibt das Kampfgericht zusätzliche Punkte für bestimmte Elementgruppen und gerätespezifische Verbindungen. So muss jede Kür am Balken aus einer gymnastischen Verbindung bestehen, beispielsweise einem Spagatsprung in Kombination mit einem Pferdchensprung. Für diese geforderte Verbindung bekommt die Turnerin Extra-Punkte. Ausnahmen gibt es jedoch beim Sprung, da nur ein einzelnes Element, zum Beispiel ein Handstützüberschlag, gezeigt wird. Deshalb wird hier jeder Sprung spezifisch eingestuft und verfügt – je nach Schwierigkeitsgrad – über eine D-Note von 2,00 bis 7,20 Punkten.
Je schwieriger die Elemente einer Übung also sind, umso mehr Fehler können sich die Turner*innen erlauben. Dennoch kann zum Schluss der kleinste Fehler zwischen Sieg und Niederlage entscheiden.
Bei der Balkenkür im Finale der Weltmeisterschaft 2021 erhielt Pauline Schäfer 13,800 Punkte. Dabei startete sie an ihrem Paradegerät mit einem Schwierigkeitswert von 5,4. Durch die Addition der E-Note (10 Punkte) und D-Note (5,4 Punkte) lag der Ausgangswert bei 15,9 Punkten. Trotz ihrer sturzfreien Übung erhielt die 24-Jährige Abzüge in der E-Note. Dennoch konnte sie mit ihrer finalen Kür in der E-Note 8,4 von 10 möglichen Punkten erreichen.
Um eine mediale Randsportart wie das Kunstturnen beliebter bei den Zuschauer*innen zu machen, sollten die Wertungen und die Abläufe im Kampfgericht nachvollziehbar sein. Es ist klar, dass nicht jede*r das geschulte Auge der Kampfrichter*innen hat und dabei auch den kleinsten Fehler erkennen kann. Dennoch sollte jede*r die Chance haben die Wertungen verstehen zu können. Ob dies mit den Erläuterungen in diesem Beitrag gelungen ist, kann jede*r bei den Übungen der Turner*innen bei den anstehenden European Championships im August 2022 in München vor Ort oder vor dem Fernsehgerät selbst ausprobieren.