Gastbeitrag von Jonas Faustmann
Kelvin van der Linde stammt aus Südafrika. Mit 17 Jahren siedelte er nach Deutschland über, um als Rennfahrer Karriere zu machen. Der 27–Jährige hat 2014 nicht nur das ADAC GT-Masters gewonnen, sondern 2017 und 2022 auch das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Deshalb gilt er als einer der profiliertesten Rennfahrer mit GT3-Autos. In diesem Jahr fährt er nicht nur in der DTM, sondern auch einige Formel-E-Rennen. Im Interview mit der SportSirene hat er über seine Wohltätigkeitsarbeit in Südafrika und seinen privaten Fahrstil gesprochen.
Herr van der Linde, wie kommt ein Südafrikaner zum Motorsport?
Meine Familie ist sehr motorsportverrückt. Trotzdem müssen Sie bedenken, Südafrika ist ein sehr armes Land. Außerdem war ich nicht sonderlich gut in der Schule. Deshalb war der Motorsport für mich die einzige Chance aus Südafrika nach Europa zu kommen. Mit acht Jahren habe ich alles aufgegeben, um mein Ziel zu erreichen.
Was wären Sie geworden, wenn es damals mit dem Motorsport nicht funktioniert hätte?
Damit habe ich mich gar nicht beschäftigt. Motorsport war mein Plan A und ich habe mir nie Gedanken über einen Plan B gemacht. Für mich stand fest: Ich muss das hinbekommen, egal wie.
Und Sie wurden dafür belohnt…
Ja, zum Glück. Motorsport ist jetzt mein Beruf und damit bin ich sehr zufrieden.
Müssen Sie private Abstriche machen, um diesen Beruf des Rennfahrers zu leben?
Nehmen wir ein Wochenende Anfang Dezember: Ich hatte heute ein tolles Training in Dubai, auf einer der besten Strecken der Welt. Heute Abend sitze ich aber allein in meinem Zimmer und werde mir etwas zu Essen bestellen. Gleichzeitig werden meine besten Freunde in Südafrika grillen. Mein guter Freund Rene Rast feiert Hochzeit, während ich am anderen Ende der Welt unterwegs bin. Das verpasse ich alles und diese Zeit bekomme ich nicht mehr zurück.
Wie hat der Rennsport Ihre Jugend geprägt?
Ich war als Kind seltener in der Schule als andere. Stattdessen war ich meist mit meinen Eltern auf einer Kart-Strecke anzutreffen. Ich hatte kaum ein Leben neben dem Motorsport. Aber wenn man so ein großes Ziel erreichen will wie ich, dann muss man alles dafür tun.
Haben Sie bei den hohen Geschwindigkeiten auf der Strecke auch manchmal Angst?
Ich bin von klein auf mit dem Motorsport aufgewachsen, deshalb war Angst auf der Rennstrecke nie ein Faktor für mich. Wir Rennfahrer leben vom Selbstvertrauen, weil wir in unser Talent vertrauen müssen. Sonst können wir nicht abliefern.
Haben Sie schon einmal an Mentaltraining gedacht?
Ich bin ein Mensch, der versucht, Probleme mit sich selbst auszumachen. Vielleicht ist das auch ein Fehler von mir, aber ich war bisher zu stolz, um mit mentalen Themen zu jemand anderem zu gehen.
Ihr Sieg beim 24h-Rennen am Nürburgring war ein mentaler Kraftakt, den Sie allein meisterten…
Auf jeden Fall! Ich hatte relativ zu Beginn des Rennens einen Unfall. Natürlich war ich anfangs geschockt. Überall tat etwas weh. Die größte Herausforderung war es dann, mental damit abzuschließen. Denn wenn du in diesem Moment viel nachdenkst, kannst du nicht mehr liefern.
Wie fühlten Sie sich nach dem Rennen?
Es erfüllt mich bis heute mit besonderem Stolz, das Rennen trotz des Unfalls auf einem anderen Auto noch gewonnen zu haben. Über die Woche hat man viel Stress und das gesamte Team arbeitet am Anschlag. Aber wenn Sonntag abends gefeiert werden kann, sind das Emotionen pur und man merkt, dass es das alles wert ist.
Sie fahren sehr viele Rennen. Hat sich das Gefühl am Start über die Jahre verändert?
Ich denke, es ist unmöglich, immer das gleiche Gefühl zu haben. Wenn man jedes Rennen gleich angeht, dann hat man etwas falsch gemacht.
Wie äußert sich das bei Ihnen?
Früher war ich vor jedem Rennen sehr aufgeregt. Vor allem am Abend davor, weil ich nie wusste, was mich erwarten wird. Mittlerweile bin ich aber ein ganz anderer Mensch und anderer Fahrer als noch vor zehn Jahren.
Was macht der Kelvin van der Linde von heute besser als der Kelvin van der Linde von vor zehn Jahren?
Mit zehn Jahren Erfahrung weiß ich genau, wie alles abläuft. Ich habe mir über die Jahre einen kleinen Kreis von Vertrauten aufgebaut, die an den Rennwochenenden bei mir sind. Auch mit dem Druck komme ich besser klar. Früher war ich nach einem schlechten Rennen eine Woche lang in einem Tief, zu Hause und im Training war ich unzufrieden. Heute suche ich nach Lösungen, anstatt im Tief zu bleiben.
Hilft Ihnen dabei Routine?
Ja. Als Rennfahrer bin ich immer wo anders unterwegs. Deshalb ist es besonders wichtig, eine Routine zu finden. Jeden Morgen gehe ich meine fünf Kilometer joggen. Diese 20 bis 30 Minuten am Tag ohne Handy und ohne Soziale Medien habe ich nur für mich und kann mir Gedanken über den Tag machen.
Haben Sie auch am Renntag bestimmte Rituale?
Ich bin kein großer Fan von Ritualen. Wenn man es nicht schafft, sein Ritual durchzuführen, kommt man schnell aus seinem Rhythmus. Früher hatte ich meine besonderen Unterhosen für die Renntage, aber dann habe ich gemerkt, dass es mehr Probleme mit sich bringt als dass es hilft.
Auch außerhalb Ihres Berufes sind Sie viel auf Straßen unterwegs. Was ist Ihr Lieblingsauto?
Ich bin ein großer Porsche-Fan. Als Straßenauto bevorzuge ich den Porsche 911 GT2 RS. Wenn es um private Autos geht, dann ist für mich aber die Innenausstattung das Wichtigste. Ich brauche gute Lautsprecher, um gute Musik zu hören.
Werden Sie im normalen Straßenverkehr oft geblitzt?
Manch einer denkt wahrscheinlich, dass ich privat wie ein „Assi“ durch die Gegend fahre, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Ich fahre oft schnell auf der Rennstrecke. Dort gehe ich immer an mein Limit, deshalb bin ich dann eher entspannt, wenn ich mal privat im Auto sitze.
Südafrika oder Allgäu?
Ehrlich gesagt habe ich mich in das Allgäu verliebt. Aber ich habe mir jetzt auch eine Wohnung in Kapstadt gekauft. Wenn es in Deutschland kalt wird, fliege ich für zwei bis drei Monate nach Südafrika und komme dann mit der Sonne wieder zurück nach Deutschland. (lacht) Ich habe die perfekte Mischung.
Sebastian Vettel hat seine aktive Karriere beendet. Sehen Sie ihn als eine Art Vorbild?
Absolut! Er ist ein toller Mensch. Ich hatte das Glück, ihn kurz kennenzulernen. Sebastian Vettel verhält sich nicht so, als ob er ein Superstar ist. Er ist ganz normal.
Auch Sie sind schon seit zehn Jahren im Motorsport. Was könnten Sie sich für die Zukunft vorstellen?
Je älter man wird, desto mehr realisiert man, dass es Spaß macht, Rennen zu gewinnen. Aber irgendwann setzt ein Gefühl ein, mehr machen zu wollen. Ich möchte ein Vermächtnis hinterlassen, um in 20 Jahren sagen zu können, ich habe nicht nur Rennen gewonnen, sondern auch tausenden Menschen geholfen.
Haben Sie schon konkrete Vorstellungen?
Ich arbeite schon an ein paar Sachen. Als ich den großen Sprung aus Südafrika in den Motorsport machen wollte, musste ich meinen eigenen Weg gehen. Deshalb würde ich gerne junge Rennfahrer aus Südafrika auf ihrem Weg unterstützen und somit auch etwas zurückzugeben. Generell glaube ich, dass in Afrika viel zu tun ist. Jedes Land hat Probleme, aber das sind oft nur Luxusprobleme. In Afrika sehe ich aber wirklich, wie Menschen leiden und hungern, das ist schon heftig. Dort würde ich gerne Wohltätigkeitsarbeit leisten.
Das Gespräch führte Jonas Faustmann
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