Andere Länder haben andere Kulturen, andere Sitten, andere Sprachen. Aber auch andere Nationalsportarten? Kaum vorstellbar, dass es Länder gibt, in denen Fußball nicht Sportart Nummer eins ist. Unser Nachbar, die Schweiz, bietet ein Beispiel hierfür. Hornussen heißt der Sport mit Vormachtstellung für die Helvetier. Von Jung und Alt wird das „Spiel um die Brotzeit“ ausgeübt, bei dem individuelle Stärke und Teamleistung zum Erfolg führen.
Hornussen zählt zur Gruppe der Schlag- und Fangspiele und weist Ähnlichkeiten mit Baseball und Cricket auf. Es ist eine Mannschaftssportart, bei der auch die Einzelleistungen gewertet werden. Zwei Teams, bestehend aus je 18 Personen, stehen sich beim Hornussen gegenüber. Das Ziel für die schlagende Mannschaft besteht darin, den Nouss möglichst weit ins Ries zu schlagen.
[su_note note_color=“#91ff66″]Nouss nennt sich die Kunststoffscheibe mit abgerundeten Ecken. Der Durchmesser liegt bei ca. 62mm.[/su_note]
Der Gegner muss den Nouss so früh wie möglich, spätestens jedoch vor dem Auftreffen auf dem Boden, mit der Schindel stoppen. Anderenfalls kassiert er eine Nummer. Das Stoppen oder Fangen des Nouss mit der Schindel bezeichnet man als „abtun“.
Anders als ein Fußball- oder Basketballspiel hat Hornussen keine feste Zeitvorgabe. Normalerweise werden zwei Umgänge gespielt. Daraus ergibt sich eine Spieldauer von circa drei bis vier Stunden. Als Sieger geht die Mannschaft hervor, die in der Gesamtwertung weniger Nummern kassiert hat. Ein Unentschieden gibt es so gut wie nie beim Hornussen. Ist die Anzahl der Nummern identisch, so wird die Anzahl der Schlagpunkte verglichen. Findet sich auch hier ein Gleichstand, entscheidet das längste Ries. Dieses errechnet sich je aus der totalen Schlaglänge aller Schläge eines Spielers. Bei den Schweizer Meisterschaften werden zusätzlich zur Gesamtleistung auch die Einzelschläge gewertet.
[su_note note_color=“#91ff66″]Ries ist das trapezförmiges Spielfeld. Es beginnt 100m hinter dem Abschlagbock in 8m Breite, und endet nach weiteren 200m in 15m Breite.[/su_note]Bei physikalischen Versuchen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich wurde gemessen, das ein Nouss beim Abschlag bis zu 306 km/h schnell sein kann und selbst bei der Landung im Ries noch Geschwindigkeiten bis 160 km/h erreicht. Spitzenspieler schaffen es dabei, den Nouss weit über die Riesgrenzen hinaus zu schlagen. Geschwindigkeit und Schnelligkeit des Spiels werden oft unterschätzt und sorgen zugleich für Begeisterung bei den Zuschauern. Obwohl beim Hornussen nur eine Helmpflicht für jüngere Spieler besteht, ist die Verletzungsrate gering. Während es vor 1900 noch besonders hohe Wertungen gab, wenn der Nouss einen Spieler direkt traf, so wurde dies durch modernes Regelwerk und Spielphilosophie abgeschafft.
Die exakte Entstehung des Hornussens kann bis heute nicht bestimmt werden. Es gibt Legenden, die besagen, Hornussen stamme von einem alten Kriegsspiel ab. Anderen Erzählungen zufolge, ist es ein alter heidnischer Brauch zur Vertreibung von Geistern. 1902 wurde der Eidgenössische Hornusserverband (EHV) als nationaler Dachverband gegründet. Im Laufe der Zeit etablierte sich der Sport zunehmend in der Schweiz und die Zahl der Aktiven stieg. In den 1990er Jahren führte der EHV verschiedene Ligen ein, um Anreize zur weiteren Professionalisierung zu setzen. Heute gibt es in der Schweiz flächendeckend in vielen Orten Hornusservereine.
[su_note note_color=“#91ff66″]Schindel heißt die Abfangschaufel aus Holz oder Kunststoff.[/su_note]Früher musste der Verlierer des Spiels dem Gewinner eine Brotzeit ausgeben. Daher ist Hornussen auch bekannt als „Das Spiel um die Brotzeit“. Heute schließen die Mannschaften Wetten über das Ergebnis ab. Der Einsatz beträgt zwischen 50 und 100 Schweizer Franken. Außerdem gibt es Wetten zwischen Spielern gleichen Leistungsniveaus, wobei der Spieler mit den mehr geschlagenen Punkten vom anderen ein Bier ausgegeben bekommt.
In Deutschland gibt es selten eine Siegerprämie. „Uns geht es um den Spaß“, sagt Andreas Zeisner. Er ist Vorsitzender der Hornusser Gesellschaft Großrinderfeld, dem einzigen Verein in Deutschland, der den Schweizer Nationalsport anbietet. Vier- bis fünfmal im Jahr fahren die Mitglieder der HG Großrinderfeld ins Nachbarland, um an Spielen teilzunehmen. „Man muss sich entweder Urlaub nehmen oder das ganze Wochenende reservieren“, berichtet Zeisner. Von zwölf bis 64 Jahre reicht die Altersspanne der Hornusser in Tauberfranken. Die meisten kamen über Freunde, Bekannte oder Familie zur Sportart, die keineswegs zu unterschätzen ist. „Es gibt nicht den einen perfekten Stil“, erklärt Zeisner, „die Bewegungsabläufe hängen stark von den individuellen Konstitutionen ab, Körpergröße, Muskelkraft etc.“.
[su_note note_color=“#91ff66″]Eine Nummer wird erzielt, wenn der Nouss ungestoppt im Ries landet.[/su_note]Im Winter gibt es bei der HG Großrinderfeld kein Mannschaftstraining. Stattdessen hält man sich mit schwimmen, Skifahren oder Fitnessübungen individuell fit. Im März ist Trainingsstart im Freien. Nun heißt es wieder: schlagen, spielen, Spaß haben.
Nina Braun
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