„Normal leben – und immer dranblieben“, so lautet das Motto von Manfred Erdmann bereits seit den 1960er Jahren. Heute hält er es kaum eine Woche aus, ohne schwere Gewichte soweit wie möglich zu werfen, zu stoßen oder zu schleudern. Seine Anfänge machte Erdmann in der Volkssportart Nummer eins. Seine Karriere als Fußball-Torwart war jedoch schnell beendet. Der Gedanke, sich den Entscheidungen des Schiedsrichters fügen zu müssen, missfiel ihm bereits nach kurzer Zeit. Eine bittere 0:7-Niederlage besiegelte Erdmanns fußballerische Ambitionen. Daraufhin konzentrierte sich der damals B-Jugendliche auf die Leichtathletik, in der schon früh sein Potenzial in den Wurfdisziplinen entdeckt wurde. Seit dieser Zeit trainiert Erdmann mit eiserner Disziplin. Schnell folgten zahlreiche Erfolge – nicht nur auf Landesebene. Bis heute wurde er fünfmal Weltmeister, 19x Europameister sowie 76x Deutscher Meister in unterschiedlichen Wurf-, Stoß- und Schleuderdisziplinen. Sein württembergischer Rekord im Schleuderball (1,5kg) mit 73,27m hat seit 1983 Bestand.
Die Grundlage für seine außergewöhnliche Leistungsfähigkeit sieht Erdmann in der Einhaltung selbstgesteckter Regeln: Kein Alkohol und keine Zigaretten. Besonders kurios: in den 1960er-Jahren war Manfred Erdmann Kurierfahrer für die Adler Brauerei Balingen. In dieser Zeit bekam jeder Fahrer pro Monat zehn Kisten „Hausbier“ zugesprochen. Selbst dieser Versuchung widerstand er. „Diese Kisten habe ich anderweitig vergeben. Da gab es genug Bekannte, die sich darüber gefreut haben“ schmunzelt er.
Die Einstellung, auf Tabak und Alkohol zu verzichten, versucht er auch jüngeren Sportlern zu vermitteln. Über die vielen Jahre seiner Athletenlaufbahn hat Erdmann unzählige Sportler in die Halle kommen und wieder gehen sehen. Sein Rat war stets derselbe: „Die Milch macht’s“! Gelegentlich wettet er auch, um die jüngeren Sportler zu motivieren. Der Einsatz beträgt immer eine Kiste Bier gegen einen Karton Milch für Erdmann. Seine Ausgaben für Bier hielten sich bis heute in Grenzen.
Seine vielen Erfolge und die lockere Art, die der 72-Jährige an den Tag legt, machen ihn zu einer lokalen Berühmtheit und einem gern gesehen Gast bei allen Wettbewerben. Aber auch für seine eiserne Disziplin ist Erdmann bereits bei den Jüngeren bekannt. „Wenn man in die Halle kommt und er nicht da ist, kann man davon ausgehen, dass etwas passiert ist. Er trainiert so zuverlässig wie kein anderer“, berichten die Handballer, die zusammen mit Erdmann in der Halle trainieren. So war es auch, als er 2013 mit einer schweren Hüftverletzung über sechs Monate im Krankenhaus zubrachte. Gerade in dieser schweren Zeit profitierte Erdmann von seiner guten Konstitution und erholte sich gut. Für manche Menschen hätte eine solche Verletzung in diesem Alter das sichere Aus bedeutet, doch Erdmann kämpfe sich schnell zurück und geht heute wieder wie gewohnt zwei- bis dreimal die Woche in die Halle. „Man muss dem Körper geben, was er gewohnt ist“, erzählt der nimmermüde Rentner, der zu seinen besten Zeiten knapp 140kg stemmte.
Wie akribisch er auch heute noch an sich arbeitet, zeigen die Daten, die Erdmann von allen seinen Leistungen dokumentiert. Temperaturen,
Windbedingungen und Uhrzeiten sind nur einige der Kenngrößen, die er analysiert und auswertet, um irgendwie noch ein paar Zentimeter rauszuholen. Und dass sich das gelohnt hat, merkt er immer wieder, wenn er Weltmeisterschaften oder die Olympischen Spiele im Fernsehen verfolgt. „Dann kann ich mit den Athleten mitfühlen, wenn für sie die Nationalhymne gespielt wird. Da sind mir auch die ersten Male die Tränen gekommen. Das sind Momente, an die man sich gerne erinnert.“ Auch wenn seine größten Erfolge schon ein wenig zurückliegen, müssen es nicht die letzten gewesen sein. Seit seiner Genesung trainiert Erdmann wieder regelmäßig und nähert sich seinen bisherigen Leistungen an. Mit seinen 72 Jahren stemmt er wieder über 100kg Zusatzgewicht bei seinen Kniebeugen in die Höhe.
So wird er auch in den kommenden Jahren als Ehrengast bei der Balinger Sportlerehrung in der Stadthalle anzutreffen sein, bei der er nahezu immer die meisten Auszeichnungen erhält. Und sollte die Konkurrenz in der Altersklasse M70 dünner werden, dann gibt Erdmann gerne auch mal eine Banane ab, denn er „will ja schließlich gegen Konkurrenten in bester Verfassung gewinnen“.
Eric Single
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