Der 17-jährige Heidenheimer Laurin Ulrich lebt den Traum vieler junger Fußballer. Er ist Spieler beim VfB Stuttgart und hat mittlerweile sein Profi-Debüt in der Bundesliga gegeben. Im Interview mit der SportSirene spricht er darüber, warum es nicht schlimm ist, auch mal mutlos zu sein und was es bedeutet, das erste Mal von einem Bundesligaprofi gefoult zu werden.
Laurin, die Onlineredaktion des Zeitungsverlags Waiblingen hat Dich mal als „mutigen Zehner mit Offensivqualitäten“ bezeichnet. Was bedeutet Mut für Dich – auf dem Spielfeld, aber auch darüber hinaus?
Mut auf dem Spielfeld bedeutet für mich, dass ich Situationen löse, die riskant sind. Wenn zwei, drei Spieler vor mir stehen und ich versuche, trotzdem durchzugehen. Manchmal klappt es und manchmal halt nicht, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Neymar beispielsweise versucht auch immer wieder durch mehrere Leute durchzudribbeln. Mut bedeutet für mich auch einfach selbst den Ball zu nehmen und zu schießen. Wir hatten ein wichtiges Halbfinal-Spiel gegen Hertha BSC und es gab einen Elfmeter. Ich war schon ziemlich nervös, da auch einige Zuschauer dabei waren. Aber ich bin cool geblieben und habe den Elfer einfach reingehauen.
Wer oder was gibt Dir Mut?
Auf jeden Fall meine Familie. Wenn ich vor einem Spiel nervös bin und dann mit meiner Familie rede, sprechen sie mir immer Mut zu. Natürlich auch der Trainer, der mir vor einem Spiel sagt, ich soll einfach mein Ding machen und wenn ich einen Ball verliere, dann haben wir dahinter noch weitere Spieler, die das verteidigen. Das ist für mich wichtig, denn es gibt mir als Offensivspieler auch ein besseres Gefühl.
Du kommst aus Heidenheim und spielst, seitdem Du elf Jahre alt bist, beim VfB Stuttgart. Wo hat Deine fußballerische Laufbahn angefangen und wie kam das Interesse vom VfB Stuttgart an Dir zu Stande?
Im Alter von vier Jahren habe ich bei der TSG Nattheim mit Fußball begonnen. In der U11 haben wir mit Nattheim in der württembergischen Hallenrunde gespielt und diese auch gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich ein paarmal im Probetraining bei der VfB-Fußballschule gewesen. Günther Schäfer, der heutige Teammanager der VfB-Profis, war damals Trainer in der Fußballschule und ist auf mich aufmerksam geworden. Danach ist die Entscheidung gefallen. Anfangs war es eine schwere Zeit für mich, da ich eher Einwechselspieler war.
Was hat sich geändert?
Ein Trainerwechsel in der U13 hat mir einen Push gegeben, sodass ich ein Jahr übersprungen und bei den Älteren mitgespielt habe. In der U17 habe ich wieder mit Gleichaltrigen gespielt. Wir standen zusammen im Finale um die deutsche Meisterschaft und seit dieser Saison bin ich in den Lizenzspieler-Kader hochgerückt.
Bereits mit elf Jahren hättest Du ins VfB-Jugendinternat gehen können, Du hast Dich aber dagegen entschieden. Würdest Du sagen, Du hattest in diesem Moment nicht genügend Mut?
Dieser Schritt wäre einfach noch zu früh gewesen. Der VfB wollte mich ins Internat holen, aber ich war nicht bereit dazu. Ich wusste nicht, wie man allein leben kann und wie Wäsche gewaschen wird (lacht). Irgendwann kam der Moment, an dem ich gesagt habe: „Ich muss jetzt gehen.“
Warum?
Das Training wurde immer mehr und ich bin teilweise sehr spät nach Hause gekommen. Dann musste ich am nächsten Tag in die Schule und danach direkt wieder zum Training nach Stuttgart. Es war irgendwann so ein Stress, dass ich gesagt habe, ich kann das nicht mehr. Als ich dann im Alter von 15 Jahren ins Internat gewechselt bin, hatte ich noch immer großen Respekt davor. Zwar war ich schon vier Jahre beim Verein und kannte das Umfeld, aber es war dann ein großer Schritt für mich, von daheim auszuziehen.
Welche Rolle hat damals Deine Familie bei der Entscheidung gespielt, dann doch aufs Internat zu wechseln?
Eine sehr große. Sie hat mich immer unterstützt. Ohne sie hätte ich es wahrscheinlich nicht so leicht gepackt. Ich habe die ersten zwei bis drei Wochen jeden Tag meine Eltern angerufen. Ehrlich gesagt wurde das dann mit der Zeit weniger. Als der Spielbetrieb angefangen hat und ich komplett mit dem Kopf bei der Sache war, habe ich auch mal vergessen, ihnen zu schreiben. Aber sie haben mich auch in der Phase unterstützt, als ich gesagt habe, dass ich nicht ins Internat gehen will. Für sie hat das bedeutet, mich ein weiteres Jahr rumzukutschieren, entweder zum Zug oder direkt nach Stuttgart. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Mittlerweile lebst Du schon seit 2020 im VfB-Jugendinternat. Wie kann man sich Deinen Tagesablauf vorstellen?
Beim Lizenzspieler-Kader sieht es nun ein bisschen anders aus als in der Jugend. Ich gehe im Moment eher selten zur Schule. Gerade mache ich mein Fachabitur an einer Kooperationsschule des VfB. Obwohl ich viel Stoff verpasse, befinden sich meine Noten noch im Zweier- und Dreierbereich. Morgens um acht Uhr gehe ich los zum Trainingsgelände und um 8.30 Uhr frühstücken wir gemeinsam. Um 9:30 Uhr gehen wir als Mannschaft in den Kraftraum, bevor um 10 Uhr das erste Training ansteht. Nach einem gemeinsamen Mittagessen legen wir uns schlafen. Um 15:30 Uhr steht das intensivste Training des Tages an. Gegen 18 Uhr bin ich fertig und gehe wieder ins Internat.
Wie sieht es in Zukunft bei Dir aus?
Ich werde wahrscheinlich bald in Stuttgart in eine eigene Wohnung ziehen. Der Verein möchte, dass man, sobald man im Lizenzspieler-Kader steht und volljährig ist, in eine eigene Wohnung zieht und lernt, auf eigenen Beinen zu stehen.
Du trainierst mittlerweile bei den Profis mit. Wie sieht die Planung des Vereins aus? Bleibst Du bei den Lizenzspielern oder gehst Du wieder in die U19?
Im vergangenen Jahr war es eigentlich nur geplant, dass ich die Vorbereitung mitmache. Dabei konnte ich schon sehr gut mit den anderen mithalten. Das hat dem damaligen Trainer (Pellegrino Mattarazzo, Anm. d. Red.) gut gefallen und er meinte, dass ich weiter bei den Profis bleiben soll. Spielzeit habe ich in der U19 gesammelt, aber im zweiten Halbjahr hoffe ich, auch Spielzeit bei den Profis zu bekommen. Ich glaube nicht, dass ich nun jedes Spiel im Kader sein werde, aber ich bin froh, wenn ich weitere Spielminuten sammeln darf, um dann nächstes Jahr komplett angreifen zu können.
Als Du Dein erstes Training bei den Profis absolviertest, hast Du da den Mut aufgebracht, Dein Spiel durchzuziehen oder war der Respekt vor den Profis zu groß?
Bei den Profis war es am Anfang so, dass ich mich eher zurückgehalten habe. Mein Berater hat mir gesagt, ich müsste mir erst einen gewissen Respekt erarbeiten, damit die Spieler aus der Mannschaft irgendwann meinen Namen kennen und mich auch foulen. Am Anfang hatte ich da nicht so den Mut, aber nach ein bis zwei Wochen habe ich dann gemerkt, dass sie mich als Konkurrenten auf einen Kaderplatz am Spieltag gesehen haben. Jetzt habe ich es langsam geschafft, mein Spiel durchzubringen.
Am 12. November 2022 hattest Du Dein Bundesliga-Debüt gegen Bayer Leverkusen. Was bedeutete dieser Moment für Dich?
Ich habe ein paar Tage gebraucht, bis ich realisiert habe, dass ich da auf dem Platz gestanden bin. Es hört sich zwar blöd an, aber als ich eingewechselt wurde, war es für mich ein ganz normales Spiel. Ich habe alles außen herum erstmal ausgeblendet. Auf der Heimfahrt von Leverkusen war es dann schon ein geiles Gefühl.
Hat Dich Dein erster Bundesliga-Einsatz ermutigt, genauso hart weiterzuarbeiten?
Klar, es hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Ich habe zwar nur zehn Minuten gespielt, aber das waren die besten zehn Minuten, die ich jemals hatte (lacht). Nach der Winterpause gebe ich in der Vorbereitung auf jeden Fall Gas, sodass ich dann zu mehr Einsätzen kommen kann.
Bei Deiner Vertragsverlängerung im Juli 2022, sagte Thomas Krücken, Direktor des VfB-Nachwuchsleistungszentrums, Dein Beispiel sei eine Motivation für den gesamten VfB-Nachwuchs. Siehst Du Dich als 17-Jähriger selbst als Vorbild für die jüngere Generation?
Ehrlich gesagt nein. Zwar habe ich mein Bundesliga-Debüt gegeben, aber darauf will ich mich nicht ausruhen. Ich will gestandener Bundesliga-Spieler werden. Ich kann verstehen, was mit diesem Satz gemeint war, da ich ja sämtliche Jugendmannschaften durchlaufen habe. Als ich zwölf war, habe ich auch immer zu den älteren Spielern hochgeschaut und mich an den Spielern aus der U17 und der U19 orientiert.
Zuletzt hat auch der FC Bayern München Interesse an Dir gezeigt. Was hat Dich überzeugt, Deinen Weg weiter mit dem VfB Stuttgart zu gehen?
Ich bin in diesem Thema nicht so drin gewesen, da mir das alles mein Berater abnimmt. Durch solche Störfaktoren könnte ich schnell meinen Fokus verlieren. Was mich am VfB überzeugt, ist dass ich weiß, wie es abläuft. Ich kenne dort alle Menschen. In München oder im Ausland wäre ich vermutlich nur einer von vielen. Es wäre zwar ein Ansporn für mich zu zeigen, dass ich es dort auch packen kann. Aber beim VfB setzen alle auf mich und ich fühle mich dort einfach wie zu Hause. Jedenfalls will ich den Durchbruch beim VfB schaffen – dort, wo ich angefangen habe.
Wenn man über Dich liest, ist von Supertalent oder deutschem Top-Talent die Rede. Wie gehst Du mit solchen Komplimenten um?
Ich versuche, mich davon nicht ablenken zulassen und weiß gar nicht, was alles über mich geschrieben wird. Natürlich freut es mich, wenn in den Medien etwas über mich steht. Aber ich brauche mir darauf nichts einzubilden. Meine Eltern haben darauf geachtet, dass ich nicht anfange durch die Decke zu gehen.
Du bist fester Bestandteil der DFB-Juniorenauswahl und hast das Team auch als Kapitän aufs Feld geführt. Erfüllt Dich das mit Stolz?
Es war ein geiles Gefühl, das Team bei der U17-EM in Israel als Kapitän anzuführen. Als der Trainer mir diese Entscheidung mitteilte, war es schon überragend. Beim ersten Spiel gegen Italien vor den Zuschauern die Hymne zu hören und in meinem Alter der Kapitän zu sein, war überragend.
Was sind Deine Ziele und Wünsche für die Zukunft?
Weiter hart zu arbeiten und immer mehr an das Team ran zu rücken. Es ist realistisch, dass ich im nächsten Jahr angreifen kann, da ich dann schon ein Jahr beim Team dabei bin und somit weiß, wie alles abläuft. Mein Ziel ist es, in zwei Jahren Stammspieler zu werden.
Was würdest Du gerne in naher Zukunft über Dich in der Zeitung lesen?
Mein Ziel war es immer, dass es einmal einen Bericht über mich gibt, in dem steht, dass ich eine Initiative gegründet habe, bei der Tieren geholfen wird. Ich unterstütze eine Organisation namens Villa Luna in der Türkei, die Hunde rettet. Seitdem ich 14 bin, spende ich jeden Monat Geld an sie. Es wäre auf jeden Fall irgendwas abseits des Rasens mit sozialem Engagement, denn das ist etwas, was mir neben dem Fußball besonders am Herzen liegt.
Das Gespräch führte Kai Jäger.
- „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ - 27. Januar 2023