
Sebastian Marcard leitet das Sprintteam des VfL Sindelfingen. Im Interview mit der SportSirene erklärt der A-Lizenz-Trainer das Rezept erfolgreicher Trainerarbeit. Und er erzählt, wie man als Trainer Einfluss auf seine Athleten nehmen kann.
Welche Eigenschaften muss ein guter Trainer mitbringen?
Ein guter Trainer muss zuhören können, Geduld und hohes Einfühlungsvermögen haben. Er muss glaubwürdig sein, das heißt, die Dinge, die er vorlebt, müssen Hand und Fuß haben. Wenn man als Trainer etwas vorgibt, beispielsweise in Bezug auf die Lebensführung, muss man konsequent bleiben und sollte nicht selbst immer unpünktlich sein oder Versprechungen machen, die man nicht einhält. Ansonsten bröckelt die Glaubwürdigkeit. Je höherklassig es im Leistungssport wird, desto wichtiger sind diese sogenannten „soft skills“. Die Basis ist aber eine wissenschaftliche Ausbildung. Man sollte sich sehr gut in sportfachlichen, psychologischen und sportmedizinischen Bereichen auskennen. Ohne diese Basis kann man nichts aufbauen und den Athleten nicht überzeugen.
Inwieweit bist Du als Trainer für den Erfolg Deiner Athleten verantwortlich?
Der wesentliche Faktor für den sportlichen Erfolgist das sportliche Talent, aber eben nur bis zu einer Schwelle von 90 bis 95 Prozent des maximalen Leistungsvermögens. Der Rest ist durch den Trainer beeinflussbar. Man kann einwenden, dass fünf bis zehn Prozent fast nichts sind und es deshalb egal ist, wer einen trainiert. Wenn man aber den 100-Meter-Lauf als Beispiel nimmt, sieht man, dass die Weltspitze ab 10,0 Sekunden beginnt und fünf bis zehn Prozent das Delta von 10,0 auf 10,5 auf 11,0 Sekunden sind. Mit 10,5 Sekunden ist man erweitertes deutsches Niveau und mit 11,0 Sekunden erfolgreiches Niveau in Baden-Württemberg. Dann sieht man, dass dieser Unterschied riesig ist. Von den Athleten, die hochgradig talentiert sind, wird nur derjenige Olympia-sieger oder Weltmeister, dessen Trainer die Motivation, dieses „Geh-nochmal-über-den-Schweinehund“ herauskitzeln kann.
Wie ist Dein Verhältnis zu Deinen Athleten?
Ich pflege ein freundschaftliches Verhältnis, aber ich erwarte Respekt. Diesen Respekt lebe ich meinen Sportlern vor. Ich weiß, dass sie auf viele Dinge verzichten, die man sonst als 20-Jähriger tun könnte und die Spaß machen. Ohne diesen Verzicht ist keine Leistungssteigerung möglich. Aber das gleiche erwarte ich auch von mir. Im Leistungssport muss man gewisse Dinge auch selber tun. Es hat niemand einen 24-Stunden-Trainer. Deshalb muss ich mich darauf verlassen können, dass meine Athleten ihre Dinge sauber machen. Dazu gehören auch regelmäßige medizinische Checks und physiotherapeutische Behandlungen, die entsprechende Ernährung oder der Lebenswandel, zum Beispiel, dass man nicht immer als Letzter aus der Disko kommt. Zuckerbrot und Peitsche ist die gesunde Mischung, die man leben muss.
Fällt es schwer, bei diesem freundschaftlichen Verhältnis die Professionalität zu wahren?
Nein, bei mir nicht. Ich spiele immer zu 100 Prozent mit offenen Karten, dadurch weiß jeder, was ihn erwartet. Deshalb kann ich schon klar sagen, „He, jetzt ist ein gewisser Punkt erreicht. Wenn wir jetzt nicht wieder gewisse Dinge konsequenter betreiben, dann geht der ganze Schuss nach hinten los.“ Das sage ich dann in aller Ernsthaftigkeit und Deutlichkeit und dann passt das auch.
Wie wichtig sind Offenheit und gegenseitiger Respekt für den Erfolg des Athleten?
Das ist enorm wichtig in Bezug auf die Leistung. Man muss gegenseitig ein hohes Vertrauen haben, weil man sich auch Dinge erzählen muss, die in die Intimsphäre des Sportlers eingreifen. Bei Frauen zum Beispiel muss ich als Trainer über Verhütungsmittel der Athletin Bescheid wissen, und auch die Trainingssteuerung nach dem Zyklus der Athletin erfordert intimes Wissen. Auch wenn es in der Beziehung des Athleten Probleme gibt, muss ich das als Trainer wissen. Sonst schnappe ich mir einen nach dem Training und falte ihn zusammen, und bewirke eigentlich genau das Gegenteil, weil er schon genug Probleme und Sorgen hat. Deswegen ist es wichtig, dass man vertrauensvoll miteinander umgeht. Das betrifft auch ärztliche Informationen, in die ich eingewiesen werde, obwohl sie der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Ohne dass der Athlet solche Dinge mit mir bespricht und sich austauscht, wären viele Dinge nicht möglich oder würden falsch kanalisiert werden.
Wirst Du durch dieses Vertrauensverhältnis für die Athleten zur Bezugsperson oder zum „großen Bruder“?
Manchmal läuft das schon in diese Richtung. In vielen Phasen verbringen die Athleten mit mir mehr Zeit als mit ihren Eltern. Manche Trainer machen das nicht. Es gibt Trainer, die zum Beispiel mit Alkohol Probleme haben. Das sind Dinge, die ich dann vorlebe und bei denen ich sage: „He du, das funktioniert so nicht“. Wenn ich selber im Trainingslager jeden Tag sternhagelvoll wäre, wäre das nicht glaubwürdig. Diese intimen Dinge müssen sie mir erzählen, da ich sonst falsche Schlüsse ziehe. Sonst würde ich abends am Schreibtisch sitzen und unter Umständen ein komplettes Trainingskonzept über den Haufen werfen, obwohl es an ganz anderen Dingen liegt.
Ist es Dir ein Anliegen, neben dem sportlichen Training Deinen Athleten Werte zu vermitteln und sie in dieser Hinsicht zu beeinflussen?

Das ist ein gutes Stichwort. Abgesehen davon, dass ich als Trainer ein bisschen erfolgsgeil sein muss. Eine sportliche Erfolgsgeilheit muss da sein, sonst würde ich nicht so viel Engagement reinstecken. Aber was mich darüber hinaus stark antreibt, ist schon das Thema Werte vermitteln und fit machen für den späteren Lebensweg. Letztendlich ist Leistungssport ein Weg für später und ich denke, dass sich diejenigen, die im Leistungssport erfolgreich sind und diesen Weg gehen, mit dem Berufseinstieg leichter tun und sich besser durchsetzen. Der Leistungssport ist die beste berufsvorbereitende Lebensschule, die man mitkriegen kann. Man kann dadurch einen erfolgreichen Weg gehen oder eine Führungspersönlichkeit werden, weil man resistenter gegen Stress ist, weil man weiß, dass nach jedem Tief auch wieder ein Hoch kommt. Leistungssport ist eine Lebensphilosophie.
Was ist Dein persönliches Erfolgsrezept für Deine Arbeit als Trainer?
„Hart aber herzlich“, so könnte man das Ganze zusammenfassen. Das Leben ist hart und es ist nicht immer alles rosarot. Man muss klarkommen mit sportlichen Misserfolgen. Aber man weiß, dass man letztendlich in der Regel für sein Engagement belohnt wird.
Nora Reule
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