„Mich hat es schon immer gereizt, die Perspektive eines Vogels einzunehmen und die Welt von oben zu betrachten“, erklärt Jens Schneider*. Deshalb segelt er regelmäßig mit dem Gleitschirm. Doch bei aller Begeisterung und Euphorie blendet er die Risiken dieses Tuns nicht aus. Denn was manche Menschen als eine harmlose Windböe sehen, wäre für andere wohl lebensbedrohend. Gerade Gleitschirmflieger fürchten sich vor diesem Wetterphänomen. Wie Schneider teilen immer mehr Menschen die Begeisterung fürs Fliegen weltweit und das auf unterschiedliche Art und Weise. Das selbstständige Fliegen beziehungsweise „Gleiten“ wird unter anderem beim Gleitschirmfliegen ausgeübt und begeistert jährlich zahlreiche Menschen.
Die steigende Zahl der Vereinsmitglieder stützt diese These. Mittlerweile gibt es in Deutschland mehr als 39.000 aktive Mitglieder, die diesem Hobby in einem der 320 Vereine nachgehen. An der Spitze dieser Vereine steht der Deutsche Hängegleiterverband e.V. (DHV) mit Sitz in Gmund am Tegernsee. Deutschland bietet bei mehr als 900 Fluggeländen vielfältige Möglichkeiten, diesem Hobby nachzugehen. Jens Schneider sieht beim Gleitschirmfliegen den Start als die schwierigste Hürde: „Besonders da braucht man höchste Konzentration.“ Auch der ehemalige Gleitschirmflieger Michael Eberhard, früher in Mosbach aktiv, ist begeistert, dass er allein Gleitschirmfliegen kann, ohne von jemandem Anweisungen zu erhalten: „Ich fand das immer super, dass ich die Möglichkeit habe, nur mit einem Schirm einen solchen Flug durchzuführen.“
Doch die Sportart birgt auch Risiken. Ein Fehler – und das Abenteuer wird zum Desaster. Die Unfallstatistik des DHV zeigt, dass es jährlich zu Todesfällen kommt. 2017 gab es 226 gemeldete Unfälle, bei denen 132 Personen schwer verletzt wurden. Sechs Personen starben. „Doch die Dunkelziffer ist viel höher, da viele Unfälle nicht ordnungsgemäß gemeldet werden“, erklärt Schneider. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Was macht das Gleitschirmfliegen so riskant und gefährlich? Michael Eberhard antwortet darauf: „Sowohl der Start als auch die Landung sind der schwierigste Part.“ Des Weiteren steht für beide fest: das Wetter ist ein weiterer Gefahrenpunkt und sollte niemals unterschätzt werden. „Die meisten Unfälle entstehen aus einer Kette von Nachlässigkeiten, noch viel gefährlicher als diese Nachlässigkeiten ist das Wetter, beziehungsweise das falsche Deuten der Wetterlage“, erklärt Jens Schneider. Beide haben schwere Verletzungen und Todesfälle in ihrem engeren Umfeld erlebt. Welche gefährliche Rolle das Wetter in diesem Zusammenhang spielt, wurde Schneider als Ersthelfer bei dem Absturz eines Bekannten deutlich. Der Pilot wurde durch starke Winde gegen eine Felswand gedrückt und stürzte anschließend auf den Boden. Schneider konnte ihn per Ersthilfe nicht mehr retten – der Pilot verstarb vor Ort.
Schneider ist sich des Risikos jederzeit bewusst. Trotzdem startet er trotz derartiger Todesfälle jedes Jahr regelmäßig mit seinem Gleitschirm. Er will seine einfach seine Leidenschaft ausleben, solange es ihm möglich ist. „Mit der Zeit entwickelst du eine Art Verdrängungsmechanismus, weil dir bewusst ist, was bei solchen Flügen passieren kann“, erklärt er. Er beruhigt sich damit, dass Unfälle nahezu immer vom Piloten selbst verschuldet und deswegen häufig vermeidbar sind. Auch Michael Eberhard erinnert sich heute noch zurück an ein Schlüsselereignis, das seine Karriere als Gleitschirmspringer prägte. Er selbst befand sich einmal in der Situation, in der ihm das Wetter fast zum Verhängnis wurde. „Mitten in der Luft ist mir aufgefallen, dass ich es womöglich nicht mehr über den Wald schaffe“, berichtet der ehemalige Gleitschirmflieger. Mit ein wenig Glück gelang ihm doch noch eine saubere Landung. „Noch in der Luft habe ich mir geschworen: Wenn ich heil auf dem Boden ankomme, dann schmeiß ich diesen Schirm sofort in den Müll und fliege nie wieder“, erinnert er sich heute zurück an dieses dramatische Erlebnis. Entscheidend war es trotzdem nicht, denn er beendete seine Gleitschirmleidenschaft damals nicht.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass man bei dem Gleitschirmfliegen immer konzentriert sein und dem Flug mit Respekt entgegentreten muss. „Wenn du mal in der Luft bist, dann bist du in der Luft und kannst nicht mehr spontan umdrehen“, kommentiert Eberhard. Sein Rat: Um das Unfall-Risiko zu minimieren, sollte man erst nach einer guten Vorbereitung den Flug antreten und Fehler nicht zweimal machen. „Auch sollte man als angehender Gleitschirmflieger immer up to date bleiben, da sich Dinge wie Techniken oder Regeln ändern, beziehungsweise weiterentwickeln können“, appelliert Schneider.
Obwohl sie nicht nur positive Erfahrungen gesammelt haben, blieben sowohl Schneider als auch Eberhard dem Gleitschirmfliegen über lange Zeit treu. Sie sind vom Flugbazillus infiziert. Oder wie es Jens Schneider ausdrückt: „Mir ist es egal, was passiert ist oder passieren kann. Solange ich mich sicher damit fühle und weiterhin die Liebe zu meiner Leidenschaft nicht verliere, werde ich das Gleitschirmfliegen auf keinen Fall aufgeben.“
* Name von der Redaktion geändert.
Jonas Baumgartner
- Faszination Gleitschirmfliegen – Spaß oder Leichtsinn? - 17. Februar 2020