Kommentar Falk Böckheler
Eingekesselt! Was bei großen Demonstrationen oft für Diskussionen sorgt, ist für einen aktiven Fan leider nichts Neues. Auch ich wurde schon Augenzeuge von so einem Kessel. Eine Gruppe von ungefähr 100 Fans, die eingeengt, wie die Sardinen in der Büchse, Schulter an Schulter stehen. Das Ganze bei winterlichen Temperaturen, ohne sich vor oder zurück zu bewegen. Keine 200 Meter von dem Bahnhof entfernt, an dem eben diese Fans vor ein paar Minuten angekommen waren. Dass bei einer solchen Aktion nicht alle Beteiligten ruhig bleiben, dürfte klar sein. Das Ende vom Lied? Ein Pfeffersprayeinsatz in den Kessel hinein. Gegen bereits Eingekesselte: KSC-Fans, die wegen des Spiels des VfB gegen die Hertha aus Berlin zu Besuch in Stuttgart waren. Zwischen KSC und Hertha Anhängern besteht seit Jahren eine Fanfreundschaft. Grund genug für einige Karlsruher ins Stadion des Hassvereins VfB zu reisen. Natürlich könnte man argumentieren, dass man das Vorgehen der Polizei doch einfach filmen könnte, um Beweise für das überharte Vorgehen der Staatsgewalt zu sammeln. Jedoch werden eben solche Videoaufnahmen von der Polizei genutzt. Nicht nur, um Straftaten aufzudecken, sondern auch für die bundesweite Datenbank „Gewalttäter Sport“. Eben diese Arbeit wollen Fans weltweit der Polizei nicht abnehmen. Schließlich werden die Bilder in Prozessen gegen sie verwendet. Aus diesem und weiteren Gründen will ein großer Teil der Fans weder filmen noch gefilmt werden. Somit gelangen nur wenige oder einseitige Informationen aus dem Inneren eines Polizeikessels an die Öffentlichkeit. Und wo kein Kläger, da kein Richter.
Man kann also sagen, dass einige KSC-Anhänger unschöne Erinnerungen an die Landeshauptstadt und die dortigen Polizeimaßnahmen haben. Um Szenen wie diese bei einem direkten Aufeinandertreffen der Fanlager des VfB Stuttgart und des KSC zu verhindern, wird im Voraus monatelang ein Sicherheitskonzept von der Polizei und den Fanbetreuern erarbeitet. Wie aber am 24. November 2019 in Bad Cannstatt zu sehen war, können diese Absprachen binnen Stunden umgeworfen werden. Bei diesem Hochrisikospiel kippte die Polizei ein für sie bis dato perfektes Sicherheitskonzept. Grund dafür war laut eigenen Angaben der Fund von pyrotechnischen Gegenständen im Gästeblock am Vortag. Außerdem vermuteten sie Pyrotechnik und Vermummungsmaterial in den Bussen der KSC-Anhänger. Ohne Rücksprache mit den Fanbeauftragten aus Karlsruhe. Auch die szenekundigen Beamten, also Polizisten, die Erfahrungen mit der Fanszene des KSC haben, sollen bei den kurzfristigen Entscheidungen, laut SWR, nicht hinzugezogen worden sein. Die Fanbusse des KSC, die eigentlich vor dem Stadion halten sollten, wurden bereits in Untertürkheim gestoppt und die Insassen mussten von dort zu Fuß zum Stadion gelangen. Gründe für die Taktikänderung zu nennen, blieb die Polizei nicht nur vor Ort, sondern auch in ihren Pressemitteilungen schuldig. Der Innenminister Thomas Strobel spricht in einem Interview mit dem SWR davon, dass sich Personen, die dem KSC zuzuordnen sind, unmittelbar vor der Kesselbildung nicht an Vereinbarungen gehalten haben. Eine durchaus strittige Aussage, wenn man die Taktikänderung ohne Absprache vorher bedenkt. Die Schuldzuweisungen beider Parteien gleichen einem kindischen Katz und Maus Spiel. Wer sich hier zuerst nicht an Vereinbarungen gehalten hat, ist für beide Seiten klar. Die Anderen. Anschließend fanden sich 591 zufällig ausgewählte Fans, zwei Stunden vor Spielbeginn, in einem Polizeikessel wieder. So der Karlsruher Fan-Dachverband Supporters in einem offenen Brief. Unter ihnen nicht – wie vielleicht von vielen erwartet – tätowierte, mit Pyrotechnik ausgestattete und gewaltbereite Hooligans, sondern Jugendliche, Frauen, Familienväter und natürlich Teile der aktiven Fanszene des KSC. Ein Meter zu weit vorne war schon ein Grund, sich für die nächsten vier bis fünf Stunden umringt von Hundertschaften der Polizei wiederzufinden. Von gezielter Trennung normaler Fans und wirklicher Aggressoren keine Spur. Laut Strobel ein vermeidbares Risiko, wie der SWR berichtet. Man könne sich ja von Gruppen, von denen Gewalttaten ausgehen, entfernen, um eine Einkesselung zu verhindern. Da stehen sie also die KSC-Fans, kurz vor Beginn des wichtigsten Spiels der Saison, und es geht weder vor noch zurück. Was für die Polizei eine Risikominimierung ist, wird für den anderen schnell mal zum Risiko für die Gesundheit. Innerhalb des Kessels brach ein Fan, der durch Vorerkrankungen Probleme mit seinem Kreislauf hatte, zusammen. Zwar war ein Krankenwagen schnell zur Stelle, trotzdem bleibt die Frage, ob dieser Vorfall nicht durch Sitzmöglichkeiten oder genügend Trinkwasser vermeidbar gewesen wäre. Die Polizei erwähnt den Vorfall zwar, spricht in ihrer Pressemitteilung aber von ausreichend Trinkwasser und genug sanitären Einrichtungen. Katz und Maus! All das Ausharren half nichts: Die meisten Eingekesselten verpassten das gesamte Derby oder einen Teil davon – „dank“ polizeilicher Maßnahmen und der Aufnahme der Personaldaten durch lediglich zwei Beamte. Ein für die Fans quälend langer Prozess. Darunter ein großer Teil der aktiven Fanszene des KSC, die für einen koordinierten Support der Mannschaft auf den Rängen verantwortlich ist. Dieser blieb somit aus. Die Maßnahme verursachte darüber hinaus ein Verkehrschaos auf den umliegenden Straßen. Die Folge: Einige Besucher sahen keine andere Möglichkeit, als zu Fuß über die Bundesstraße zum Stadion zu gelangen. Unverständlich, aber an diesem Tag bittere Realität.
Es wurde das Sicherheitskonzept umgeworfen, hunderte Fans wurden stundenlang festgehalten, Personen gesundheitlich geschädigt und viele Fans eines lang ersehnten Derbys beraubt. Alles wegen Einzeltätern, die die Polizei vergeblich versuchte festzunageln. Aus dem Polizeibericht geht nämlich kein Fund von Pyrotechnik im Kessel hervor. Also entweder ein missglückter Einsatz oder sehr kreative KSC-Anhänger, wenn es um das Verstecken von Rauchfackeln oder Ähnlichem geht. Durch solche Vorkommnisse wird das Bild vom Freund und Helfer bei fast 600 Personen mindestens beschmutzt.
Und: Risikoabwägungen, die dazu führen, dass eine komplette Fanszene ein Spiel verpasst und damit das wahrscheinlich interessanteste Derby im Süden Deutschlands zu einem 0815-Spiel werden lassen, sind nicht gerechtfertigt. Beim letzten Aufeinandertreffen beider Vereine in Stuttgart, wurden im Gästeblock nicht nur Rauchfackeln und Böller gezündet, sondern auch auf das Spielfeld und in Richtung anderer Blocks geworfen. Das Spiel stand mehr als einmal kurz vor dem Abbruch. Natürlich sind Bilder wie aus dem vorherigen Derby unerwünscht, aber noch lange kein Grund, hunderte Menschen – darunter Kinder, Frauen und Familienväter – für Stunden festzusetzen, um sie anschließend, mit einem Platzverweis für das Stadiongelände in der Tasche, wieder auf die Heimreise zu schicken. Das Stadion gründlicher zu durchsuchen oder verschärfte Kontrollen beim Einlass mit mehr Personal könnten hier Abhilfe schaffen. Auch werden damit nicht nur die „potenziellen Täter“, sondern auch andere Besucher des Fanblocks geschädigt. Schadenersatz oder Ähnliches darf man natürlich auch nicht erwarten. Es gab ja laut Polizeibericht „Getränke und Toiletten“. Zwar bereiteten einige KSC-Anhänger während meiner Recherchen Klagen gegen das Vorgehen der Polizei vor, jedoch wird es schwierig, diese gegen die Staatsgewalt durchzusetzen. Keine Videos, keine Dokumentation von Seiten der Fans, keine Beweise und somit kein ernstzunehmender Kläger. Kein Kläger? Kein Richter!
- Risiko Fan - 27. Juni 2020