Jochen Schümann, der erfolgreichste Segler Deutschlands, konnte den „America’s Cup“ mit dem Schweizer Team „Alinghi“ schon zweimal gewinnen. Während des Cups in San Francisco, schlägt er sich die Nächte um die Ohren und verfolgt die Rennen live vor dem Fernseher. Im Interview spricht der dreifache Olympiasieger über die Veränderungen des „Americas Cup“, die Vermarktung des Segelns und die traditionelle Werte dieses Sports.
Der „America’s Cup 2013“ in San Francisco liegt mehrere Monate zurück. Was sagst Du zur Aufholjagd des US-amerikanischen Teams Oracle, das nach einem 1:8 Rückstand den Cup noch gegen das Neuseeländische Team gewinnen konnte?
Die eigentliche Überraschung war, wie schwach das Team von „Oracle USA“ ins „Americas Cup“ Match – dem „America’s Cup“ Finale gestartet ist. Denn der Verteidiger war den Neuseeländern personell, finanziell und technologisch klar überlegen und hatte zudem einen enormen Trainingsvorsprung, da sie das einzige Team mit zwei Booten in der Vorbereitung waren. Kompliment an das Team der Kiwis, die ihr Konzept im Laufe des „Louis Vuitton Cups“ nahezu perfektionierten und ihr Boot im „America’s Cup“ Match schneller und besser als die Amerikaner segelten. Dass sich diese Überlegenheit von einem auf den anderen Tag änderte, hat mit einer technologischen Entwicklung zu tun. „Oracle“ hat einen Weg gefunden, ihr Boot mit einer umstrittenen, „automatisierten Software“ kontrollierter und schneller zum „Fliegen“ zu bringen. Vermutlich hätten sie damit auch die nächsten zwanzig Rennen gewonnen.
Welche technologischen Neurungen haben den „America’s Cup 2013“ ausgemacht?
Entschieden wurde der „America’s Cup“ 2013 durch diesen unsichtbaren High-Tech-Baustein. Für die Öffentlichkeit waren es die spektakulären Bilder der fliegenden Katamarane. Dass mit Katamaranen gesegelt wird, ist nicht mehr neu für den Cup. Die große Neuerung ist der Wingmast, der wie ein Flugzeugflügel aufgebaut ist. Dieses steife Segel erzeugt so viel Kraft, dass beide Rümpfe des Bootes mit Hilfe der Foils, kleiner Flügel an Schwertern und Rudern, aus dem Wasser kommen und das Boot mit extrem wenig Wiederstand quasi über das Wasser fliegt. Dadurch werden enorm hohe Geschwindigkeiten erreicht, die im „America’s Cup“ Match für spektakuläre Bilder gesorgt haben.
Auch diesmal wurde, wie beim vorletzten Rennen 2010 in Valencia, mit mehrrümpfigen Booten gesegelt. Bleibt das beim nächsten Cup so?
Das liegt in der Hand des Siegers – also des Teams „Oracle USA“. Nachdem sie den Cup dieses Jahr gewonnen haben, dürfen sie alle Regeln und damit auch das Bootsdesign, Ort und Zeit für den nächsten, den 35. „America’s Cup“ bestimmen. Man vermutet, dass es bei Katamaranen bleibt. Ob es die gleichen Boote bleiben, ist sicher fraglich. Es wird darüber nachgedacht, das Boot etwas kleiner zu gestalten, da der Technologiesprung diesmal zu groß war und die Boote schon jetzt im absoluten Grenzbereich unterwegs sind. Die rasche Entwicklung hat auch dazu geführt, dass es überhaupt nur drei Herausforderer gab, und dass niemand, außer im Finale die Neuseeländer und „Oracle USA“, diese neuen, High Tech Katamarane beherrschte und wirklich zum „Fliegen“ brachte.
Nach dem Unfall der „Artemis Yacht“ aus Schweden und dem Tod von Olympiasieger Andrew Simpson beim Training zum „America’s Cup“ wurde aus Sicherheitsgründen das Windlimit herunter gesetzt. War das Risiko eines Unfalls bei den Finalregatten vertretbar?
Ja, ich denke schon. Der Tod von Andrew Simson war ein Unfall. Unfälle dieser Art können leider überall passieren, auch im Segelsport. Allerdings war eine Ursache der gewaltige Technologiesprung beim Bau und beim Segeln dieser neukonzipierten „America’s Cup“ Bootsklasse. Aber genau das ist es, was den „America’s Cup“ ausmacht. Egal, welche Regeln es in Zukunft geben wird, sie werden immer bis an die absoluten Grenzen des Machbaren ausgereizt. Nicht umsonst wird der „America’s Cup“ mit der Formel 1 verglichen.
Inwieweit waren die aufwendigen und öffentlichkeitswirksamen TV-Aufnahmetechniken für das große Interesse am Cup 2013 verantwortlich?
Ich denke, dies war, neben dem Design der Boote, ein entscheidender Faktor. Um sich in der medialen Welt gut zu präsentieren, muss enorm viel geboten werden. Man muss gut übertragen, gut erklären und attraktive Animationen bieten. Vieles davon hat „Oracle USA“ gut umgesetzt und dadurch sind spektakuläre Bilder entstanden – allerdings erst als sich die Kiwis und „Oracle USA“ vor der Golden Gate Bridge endlich wirklich spannende Rennen geliefert haben. Die vorhergegangenen Rennen der Herausforderer blieben ein „None-Event“, denn das Wettbewerbsniveau war einfach zu unterschiedlich.
Die Kommerzialisierung des Segelsports hat sich während des „America’s Cup“ 2013 verstärkt. Lässt sich Segelsport noch über die ursprünglichen Werte des Segelns vermarkten?
Ja, ich glaube schon, allerdings nicht für die breite Masse. Für den Nicht-Segler sind die Boote aufgrund ihrer Geschwindigkeit sehr spektakulär und interessant anzusehen. „Speed und Crashes“ versteht jeder – das lässt sich für die breite Masse einfacher vermarkten. Ob das gut und repräsentativ für den Segelsport ist, stelle ich persönlich sehr in Frage. Durch die Dominanz der puren Geschwindigkeit treten traditionelle Werte des Segelns – etwa Entscheidungen zu Strategie und Taktik, das sichtbare Teamwork beim Setzen und Bergen der unterschiedlichen Segel – in den Hintergrund. Aber dieses „Schachspiel auf dem Wasser“ in einem sich permanent ändernden, natürlichen Umfeld im Zusammenspiel von High Tech und perfektem Crewwork ist aber das Interessante am Segeln. Mir wäre ein „America’s Cup“ mit langsameren Schiffen und sichtbarerer Crewaktion lieber. Der Segelsport verfügt über seine eigene, exklusive Wertewelt, die viele Fans hat und sich durchaus vermarkten lässt. Der Stellenwert des Segelns ist nicht so hoch wie der des Fußballs und anderer typischer TV-Sportarten und das wird sich auch durch spektakuläre Boote, einfache Regattakurse, simple Startverfahren, weniger taktische Manöver und tolle TV-Aufnahmen nicht ändern.
Was sollte sich zum nächsten „America’s Cup“ ändern?
Das „winner takes it all“ Prinzip im „Deed of Gift“ von 1851, nach der der „America´s Cup“ organisiert ist, stellt das Problem dar – der Sieger gewinnt nicht nur die berühmte Silberkanne, sondern auch alle Rechte an der Austragung des nächsten „America’s Cup“. Somit gibt es mit wechselnden Siegern auch sehr unterschiedliche Austragungsmodi und Bootsklassen. Damit der „America’s Cup“ bekannter wird, verstanden wird und seinen Platz in der medialen Sportwelt findet, braucht es Kontinuität. Das ist meiner Meinung nach der Schlüsselbegriff. Denn nur wenn die Bootsklasse und der Austragungsmodus lange Bestand haben, wird es für die Zuschauer einen verständlichen, interessanten Wettbewerb geben. Hinzu käme, dass dann das Teilnehmerfeld größer wird, da sich alle Teams über die Jahre auf die Boote und Austragungsmodus einstellen können. So war es zuletzt in Valencia 2007, als elf Teams aus neun Nationen den Verteidiger „Alinghi“ herausforderten.
Wie sind die Chancen, dass ein deutsches Team an den Start geht?
Beim nächsten Cup wird es keinen deutschen Herausforderer geben. Langfristig gesehen, ist der Cup eigentlich wie für Deutschland gemacht. Es ist ein Technologiewettbewerb. Natürlich gibt es in Deutschland talentierte Segler, die auf eine solche Chance warten. Aufgrund der fehlenden Erfahrungen wird es aber ein langer Prozess sein.
Ist es vorstellbar, dass Du Dich an einem solchen Projekt beteiligst?
Ja, ich denke schon. Ich habe in meiner Karriere sehr viele erfolgreiche Erfahrungen gesammelt und würde diese gerne einbringen. Ich bin kein Katamaransegler – aber wie man jetzt beim Cup in San Francisco beobachten konnte, segeln nicht die besten Katamaranspezialisten auf den großen Zweirümpfern, sondern die bekannten Topsegler aus dem „America’s Cup“ Welt und die aktuellen Olympiasieger. Letztendlich bleiben die besten Segler auch auf den Hightech-Booten die besten Segler.
Tim Marcour
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