Wird man auf der Straße nach seiner liebsten sportlichen Aktivität gefragt, werden die häufigsten Antworten „Joggen gehen“ oder „Fußball spielen“ sein. Doch im Schatten der universellen und weit verbreiteten Sportarten hat sich längst ein neues Feld aufgetan: Der elektronische Sport, besser bekannt als E-Sports oder eSport.
Heutzutage ist der „Zocker“ – also eine Person, die häufig Videospiele spielt – meist mit negativen Vorurteilen belastet. Man spricht von Menschen, die in einer virtuellen Welt in parasozialen Beziehungen leben und den Anschluss zur Realität verloren haben. Als „Couch-Potatoe“ werden Zocker gerne bezeichnet, mitunter sogar als „Amokläufer von morgen“. Doch wer sind diese „Zocker“? Und wie viel Wahrheit steckt in den Vorurteilen?
Der elektronische Sport hat eine kurze, rasante Geschichte. Es braucht ja nur zwei Computer oder Konsolen, um E-Sports auszuüben. Und das Prinzip ist einfach: Mindestens zwei Spieler treten in einem Computer- oder Konsolenspiel gegeneinander an. Welches Spiel „gezockt“ wird, obliegt den Spielern. Die Genres sind unterschiedlich. Sie reichen von Ego-Shootern wie „Counter Strike“ oder „Battlefield“ über Rollenspiele – stark verbreitet sind „League of Legends“ und „World of Warcraft“ – bis hin zu Sportspielen, darunter die Fußball-Spieleserie FIFA. Schon an der Vielfalt der Spiele sieht man, dass es nicht pauschal „den Zocker“ geben kann.
Nikolaj Ludwig ist ein leidenschaftlicher CounterStrike-Spieler, der diesen Sport insgesamt bereits über 4.000 Stunden ausübt. Mehr als 166 Tage hat er also alleine an diesem Spiel vor seinem Rechner verbracht. Nikolaj, dessen Nickname, also der Name im Spiel, eSport Hamster ist, spielt seit 2004 das Online-Multiplayer-Spiel. Sieht er das Spielen am PC als Sport? „Die Spiele, die wir spielen, sind schon lang bekannt“, antwortet er, „in vielen Ländern zählt der elektronische Sport schon als anerkannter Sport und wir fühlen diesen Sport.“ Der 22-Jährige beschwört seine Liebe zum E-Sport: „Ich bin stolz zu dieser Sportler-Gemeinschaft zu gehören und werde mich nicht vom Gerede unwissender Menschen beeinflussen lassen.“
Dass eSports einen großen Teil der Freizeitgestaltung vieler Kinder, Jugendlicher und auch Erwachsener einnimmt, lässt sich vor allem in den asiatischen Ländern erkennen. Dort ist das Zocken schon seit einigen Jahren als Sportart anerkannt. In Korea beispielsweise wurde im Jahr 2000 der erste Verband der E-Sportler gegründet, inzwischen ist er Teil des Koreanischen Olympischen Komitees.
Die Voraussetzungen für eine Sportart, die in Deutschland in den Olympischen Sportbund (DOSB) aufgenommen werden könnte, erfüllen die Online-Spiele aber nur teilweise. Lange lief die Organisation über den Deutschen eSport Bund (ESB), der seit 2011 aber inaktiv ist. Die Szene besteht aus verschiedenen Teams, in der Fachsprache Clans, die gegeneinander spielen. Ebenso wie in anderen Sportarten gibt es auch beim elektronischen Sport Wettbewerbe mit Siegerprämien, auf die man sich vorbereiten und trainieren muss. Das bekannteste Turnier ist mit über zwei Millionen Euro dotiert. „Wir leben für unsere Teams“, schwärmt Nikolaj, „irgendwann kommen die Momente, in denen man ein Spiel gegen ein anderes Team gewinnt oder verliert. Das ist dann mit sehr vielen Emotionen verbunden.“ Bis hierher hört sich alles wie eine ganz normale Sportart an. Warum erkennt der DOSB eSport nicht als Sportart an?
Zwei wichtige Kriterien in der DOSB-Aufnahmeordnung sprechen gegen eine Aufnahme. So steht dort: „Eine eigenmotorische Aktivität liegt insbesondere nicht vor bei Denkspielen.“ Der zweite und bedeutendere Aspekt ist, dass Sportarten, „die eine tatsächliche oder simulierte Körperverletzung bei Einhaltung der gesetzten Regeln beinhalten“, nicht aufgenommen werden. Nikolaj kann den Argumenten nur bedingt zustimmen: „Viele Spieler glauben nicht, dass sie auf Menschen schießen, sondern auf sogenannte Hitboxen. Wir denken also nicht, dass diese Figur eine Menschenform hat, was das Gewaltmoment der Spiele erheblich einschränkt“. Doch auch dieses Argument reicht nicht dafür aus, dass der elektronische Sport nachhaltig über den DOSB gefördert wird.
„Klar will man, dass der eigene Sport unterstützt wird. Aber ich sehe zuversichtlich in die Zukunft. Spiele im TV zu übertragen wäre mir viel wichtiger als im DOSB aufgenommen zu werden“, erklärt eSport Hamster. Dies gab es auch schon. Der Spartensender Eurosport übertrug vor vier Jahren eine Meisterschaft in dem Echtzeit-Strategiespiel „Starcraft II“. Über eine Millionen Menschen verfolgten das Event vor dem Fernseher. Doch heute scheint eine Übertragung im Fernsehen nicht mehr notwendig, da das Internet „dem internationalen Charakter dieses Bereichs“ noch viel eher entspreche, wie ein Blogger auf der europäischen E-Sports-Seite esl.eu schreibt.
Trotz aller Debatten ist die E-Sport-Szene beliebter denn je. Von 11,5 Millionen Nutzer im Jahr 2010 stieg die Zahl, laut statista.de, auf 15,4 Millionen Online-Spieler 2013. Ob nun auf dem Schlachtfeld oder „nur“ auf dem Fußballplatz. Immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, stürzen sich ins Online-Vergnügen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht, genauso wenig wie die Aufnahme in den DOSB. Doch letzteres wird nicht verhindern, dass sich der elektronische Sport weiter verbreitet. Fraglich bleibt, inwiefern das Dauerzocken die Leistung in der Schule und bei der Arbeit beeinflusst und ob es zu einem eingeschränkten Freundeskreis führt. Diese Frage muss und sollte jeder Einzelne für sich selbst entscheiden. Eins aber ist sicher: Über einen Kamm darf man die Spieler nicht scheren.
Tom Anhorn
- 106 – Der Film - 3. November 2014
- Textile Sport-Performance - 29. Oktober 2014
- Mercedes-Benz Arena – eine enorme Entwicklung - 6. Oktober 2014