In Ländern wie Korea oder Japan schon als Sport etabliert, gewinnt der E-Sport, oder „elektronischer Sport“, auch in Deutschland immer mehr an Bedeutung und sorgt für wachsende Begeisterung. Der Wettkampf zwischen Spielerinnen und Spielern auf dem Computer oder an der Konsole begeistert die Massen, bei Wettkämpfen der Weltspitze verfolgen zeitweise mehrere hundert Millionen Zuschauer das digitale Geschehen. Die Profis trainieren bis zu zwölf Stunden täglich, die Preisgelder gehen in die Millionen. Doch das hohe Trainings- und Spielpensum birgt Risiken für Körper und Geist. Als besonders gefährlich für E-Sportler scheint der Fall in ein psychisches „Tal“. Der erfolgt dann, wenn die Konsole wieder ausgeschaltet ist. Die SportSirene hat mit einem Sportpsychologen, einem Physiotherapeuten und einem E-Sportler aus Deutschland über die Risiken im E-Sport geredet.
Dopamin, Dopamin, Dopamin – immer her mit dem Glückshormon. Am besten so schnell und so viel es geht. Das menschliche Belohnungssystem ist im Dauerstress, die Reaktionen erfolgen in Millisekunden. Ein Augenzwinkern zu langsam, und ich – oder noch schlimmer – das Team verliert. Durchatmen geht nur in den Pausen.
Klingt stressig, für professionelle E-Sportler ist das Alltag. Die Teams an der Weltspitze des digitalen „Sports“ sitzen täglich mehrere Stunden vor dem Bildschirm und trainieren. „Das Nervensystem ist ständig angeregt, es gibt wenig Entlastung“, sagt der sportpsychologische Experte Florian Schultz, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen tätig ist. Schultz warnt vor zu vielen Stunden an der Konsole: „Wenn ein E-Sportler einen langen Trainingstag hinter sich hat, braucht er Zeit, um runterzufahren. Das kann schonmal zu Schlafstörungen führen.“
Nach eigenem Bekunden ist dies für den deutschen E-Sportler Michael Gherman, aka Phenomeno, keine Gefahr. „Ich trainiere bis zu fünf Stunden pro Tag, treffe mich zwischendurch mit Freunden und gehe ins Fußballtraining“, sagt der Jüchener (Nordrhein-Westfalen), der als FIFA-Gamer bei der deutschen E-Sport-Organisation „SK Gaming“ spielt. Der 25-Jährige ist seit diesem Jahr hauptberuflicher E-Sportler und absolviert nebenbei ein Fernstudium. Gherman sieht nur zeitweise ein Risiko, zu viel vor dem Bildschirm zu sitzen. „Am Anfang eines jeden FIFA-Teils – jährlich erscheinend – ist das Pensum enorm, aber die Gesundheit geht immer vor“, sagt Gherman. Der schätzt andere Videospiele als gefährlicher ein: „Bei FIFA gibt es keine Level, die man aufsteigen kann, daher besteht meiner Meinung nach kein Sucht-Risiko. Ich denke, dass es in anderen Spielen Leute gibt, die süchtig sind.“
Schultz unterscheidet ebenfalls zwischen Sportsimulationen wie FIFA und Koop-Survival-Spielen wie „Fortnite“, bei denen man in einer künstlich erschaffenen Umgebung mit seinen Mitspielern Missionen erfüllen oder gegeneinander antreten muss. „In einer virtuellen Welt mit verschiedenen Levels, verliere ich mich viel einfacher“, sagt Schultz. Alle Videospiele haben jedoch ein gravierendes Handicap: das stundenlange Sitzen der Spieler. Darin sieht der Tübinger Physiotherapeut Dominique Pflanz viele Risiken für den menschlichen Körper. „Durch das lange Verharren in derselben Position sind einige Bereiche gefährdet“, sagt der 49-Jährige. Die Hals- und Lendenwirbelsäule und der Rücken seien besonders anfällig. „Nach mehreren Jahren des E-Sports können auch Bandscheibenprobleme auftreten. Dass man diese erst so spät zu spüren bekommt, macht es so gefährlich“, sagt Pflanz. Der Physiotherapeut sieht außerdem Gefahren für die Augen. Die sind beim E-Sports stundenlang, ähnlich wie bei einem alltäglichen Bürojob, auf den Bildschirm gerichtet. „Dafür ist das Auge nicht gemacht, es benötigt einen Wechsel zwischen Nah und Fern und darf nicht zu lange auf denselben Punkt schauen. Ansonsten werden die Muskeln zu stark beansprucht, das führt zu Problemen.“ Auch deshalb schlägt Pflanz vor, während dem Spielen immer wieder die Bildschirmausrichtung, die Körperhaltung, und den Sitz zu wechseln. „Zu lange in derselben Haltung zu sein ist nie gut“, sagt Pflanz, der Dehnen in den Spielpausen für sinnvoll hält. So könnten Syndrome wie der „Mausarm“, bei dem durch zu langes Verbleiben des Arms und der Hand in der gleichen Position Beschwerden auftreten, verhindert werden.
Medizin Nummer Eins gegen den Bewegungsmangel ist für Pflanz jedoch simpel: Bewegung. „Am besten Ballsportarten. Wichtig ist, dass die Arme und Hände in Bewegung sind.“ Auch Schultz hält Bewegung für enorm wichtig. „Ohne die körperliche Betätigung bauen sich die Stresshormone nicht ab, das kann verheerend sein. Burnout und Depressionen sind auf lange Frist nicht unwahrscheinlich“, sagt er. Das liege jedoch auch an der übermäßig hohen Ausschüttung von Dopamin im E-Sports, so Schultz. „Wenn du in der digitalen Welt nur so von Glückshormonen überschüttet wirst, die in der realen Welt dann ausbleiben, kannst du außerhalb der digitalen Welt in ein Tal fallen. Der Weg zur Videospiel-Sucht und der sozialen Isolation ist da nicht weit.“ Fifa-Crack Gherman teilt sich seine Zeit deshalb bewusst ein: „Soziale Isolation ist schon möglich, deshalb achte ich immer darauf, dass ich einen Ausgleich zum E-Sport habe“, sagt Gherman. Der 25-Jährige nutzt seine Leidenschaft, um Geld zu verdienen. Einen Teil davon legt er zur Seite. Zudem plant er nicht zu weit in die Zukunft: „Ich lasse momentan einfach alles auf mich zukommen“, sagt Gherman, und fügt hinzu: „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, was einfach unglaublich ist.“
Und sollte der in Deutschland weiter stark wachsende E-Sport-Bereich irgendwann wieder Geschichte sein, hat Gherman mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Immobilienkaufmann einen Plan B in der Hinterhand. Ein Backup in der realen Welt sozusagen.
Jannis Hegele
- Das DigiTal - 15. Juni 2020