Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen… so oder so ähnlich könnte man sich wohl den Anfang eines typischen Erlebnisberichts vorstellen. Aber ein typischer, gewöhnlicher Erlebnisbericht ist hier unangebracht. Denn die Sportart, die wir – zwei junge Sportpublizisten aus Tübingen – betrieben haben, ist weder gewöhnlich noch typisch. Es geht um Racketlon.
Racketlon – das ist eine Turniersportart, die aus den Einzeldisziplinen Tischtennis, Badminton, Tennis und Squash besteht. Gespielt wird in jeder Sportart ein Satz bis 21 Punkte. Am Ende zählen die Gesamtpunkte. Man kann also drei dieser vier Spiele verlieren, aber das gesamte Match noch für sich entscheiden. Wir haben Racketlon für Euch ausprobiert.
Jan: Spiel eins steht auf dem Plan. Bei professionellen Turnieren wird vom kleinsten zum größten Schläger gespielt. Da wir uns allerdings nicht als Profis, geschweige denn als Turnierspieler sehen, spielen wir einfach wild durcheinander. Los geht’s bei uns mit Squash.
Die Voraussetzungen: Robert hat fünf Jahre lang Tennis gespielt, hat einen Schlagarm wie Roger Federer und kennt sämtliche geheimen Tricks im Squash. Meine Wenigkeit dagegen hat im Leben noch nie Tennis oder Squash gespielt, hat einen Schlagarm wie Lindsay Lohan und weiß nicht so genau, worauf es eigentlich ankommt. Beste Voraussetzungen um ein erstes Ausrufezeichen zu setzen und als Underdog dem etablierten Rückschlagspieler zu zeigen, wo der Hammer hängt. Nach kurzem Einspielen soll es auch schon losgehen.
Es gibt immer zwei Aufschläge, danach wird gewechselt. Wir werfen eine Münze, ich verliere, Robert darf anfangen. Super Start. Und es geht auch nicht besser weiter. Robert macht schnell klar, dass er hier mit hohem Vorsprung gewinnen will; und den wird er später auch brauchen.
Nach 0:3 Rückstand komme ich besser ins Spiel. Langsam merke ich worauf es ankommt. Nicht immer nur draufhauen. Auch mal ganz kurze Bälle spielen oder weite diagonale Bälle, die an die Seitenwand gehen und abspringen. Das Spiel ist jetzt ausgeglichen. Keiner von uns kann auf mehr als drei Punkte wegziehen. Bis zum Stand von 16:16. Wir machen eine kurze Trinkpause. Dabei muss irgendetwas passiert sein. Bei mir läuft nichts mehr zusammen und Robert gibt auf einmal richtig Gas. Er bringt beide Aufschläge durch, 18:16. Ich hingegen patze mit zwei Aufschlagfehlern. Letzter Ballwechsel und Schluss. Robert gewinnt mit 21:16 Punkten.
Robert: Im Anschluss wechseln wir direkt auf den Nebenplatz um uns im Badminton auszutoben. Hierbei macht sich unweigerlich der besondere Reiz des Racketlonspiels bemerkbar: Der Wechsel der Schläger ist nicht so einfach, man braucht ein wenig Eingewöhnung. Habe ich im Squash meinem Kontrahenten noch den Schneid abkaufen können, praktiziert er selbiges jetzt mit mir. Ehe ich ins Spiel finde, ist Jan bereits auf mehr als zehn Punkte davon gezogen. Immer wieder bringt er mich mit seinen Clear-drops, bei denen der Federball direkt hinter dem Netz auf dem Parkett aufschlägt, zur Verzweiflung. Zum anderen lässt die Konzentration nach 45 Minuten Power-Spiel spürbar nach. Glücklicherweise gilt das auch für Jan und somit kann ich mich noch einmal rankämpfen. Frei nach dem Motto. „Was dem einen sein Sarpei ist dem anderen sein Nikolov“, antworte ich auf seine Drop-Shots mit einem Dauerfeuer an Schmetterschlägen. Als ich mich wieder im Spiel wähne, gibt mir Jan jedoch den Gnadenstoß und lässt mich mit drei schnellen Punkten und einer Klatsche von 21:11 allein und ratlos auf dem Court zurück. Der Frust verfliegt, als ich einen Blick auf meinen Punkterückstand werfe. 5 Punkte Rückstand bei noch zwei ausstehenden Spielen – das sollte durchaus zu schaffen sein. Gesamtstand 32:37.
Robert: Nachdem der kleine November schließlich aus dem Mai abgeholt wurde, können Jan und ich uns auf den Centre-Court begeben um uns im Tennis zu duellieren. Ich hoffe, dass mein Erfahrungsvorsprung in diesem Spiel besonders zum Tragen kommt. Nach dem Einspielen überkommen mich allerdings erste Zweifel. Von der vorher noch großspurig angekündigten Dominanz auf der roten Asche ist wenig zu sehen. Sollte ich mich doch geirrt und mein Talent in den 90ern gelassen haben? Nach den ersten Punkten ist klar: So nicht! Während Jan erfolgreich die Bratpfannentechnik anwendet und mir den Ball um die Ohren haut, versuche ich es mit mehr Stil und haue umso härter zurück. Mit dem Ergebnis, dass nach 10 gespielten Punkten einer unserer fünf Bälle das Zeitliche gesegnet und Jan einen komfortablen Vorsprung von 8:2 herausgespielt hat. Mit dem Seitenwechsel ist klar: Sollte hier noch was gehen, muss ich mein Spiel radikal ändern. Gesagt getan, statt krachenden Schlägen gibt es jetzt ein wenig Ansehnliches hin und her Geschiebe. Wenn ich einen Vorteil bisher nicht ausgespielt habe, dann hilft er mir jetzt das Blatt zu meinen Gunsten zu wenden. Wie Steffi Graf zu ihren Glanzzeiten bearbeite ich mein Gegenüber jetzt ausnahmslos mit Slice-Schlägen, die ihn vor Probleme stellen. Mit jedem Punktgewinn steigt das Selbstvertrauen und nachdem ich den Ausgleich geschafft habe und auf 15:10 davon gezogen bin, klappt es auch mit der Power-Vorhand. Zu diesem Zeitpunkt noch von Gegenwehr zu sprechen wäre zu viel des Guten. Mit einem frechen Stoppball entscheide ich dieses Spiel mit 21:13 Punkten für mich.
Jan: Gleicher Tag, andere Sportart, letztes Spiel. Tischtennis. Ein denkbar knappes Finale. Robert liegt 53:50 vorne, ich muss im Tischtennis also mindestens mit 4 Punkten Vorsprung gewinnen, um noch als Sieger vom Platz zu gehen. Ich würde mich selbst nicht als Timo Boll bezeichnen, Robert allerdings auch nicht. Beweglich ist was anderes. Völlig hüftsteif steht er mir gegenüber, bewegt die Beine kaum. Schon nach den ersten Ballwechseln ist mir klar, das wird was. Hier kann ich Punkten. Aber gerade dieser Übermut macht mich leichtsinnig. Ich versuche, den Bällen jedes Mal einen Drall zu geben, schneide sie an. Einfache Schmetterbälle gehen ins Netz oder fliegen über die Platte hinaus, weil ich zu sehr drauf haue. Robert kann mithalten. Spielt nicht besonders elegant, aber wirkungsvoll. Er macht selbst keinen Angriffsschlag und wartet auf meine Fehler. Aber das kann ich auch. Ich fange an abwartend zu spielen. Bei wirklich schlechten Rückgaben werde ich dann offensiver. Somit gelingen mir viele einfache Punkte. Robert ist hoffnungslos unterlegen. Wie ein gewöhnlicher Boxer gegen Klitschko. Ich lasse ihn tanzen, wie meine Puppe. Beim Stand von 20:15 schlottern ihm die Knie. Er braucht drei Punkte in Folge für ein Unentschieden. Meine Angabe kommt stark und gefühlvoll zugleich. Zhang Jike wäre stolz auf mich. Rückgabe Robert: Neben die Platte. Spiel, Satz, Game, Match, Sieg, fertig, aus, bombastisch. Mit 71:68 Punkten gewinne ich unser Racketlon Match. Ein Tag an den sich die Menschheit gerne zurück erinnert.
Soviel Spaß wir auch während des Spielens und Schreibens gehabt haben, ist uns eine Sache beim Racketlon doch besonders aufgefallen: Zu Beginn jedes Matches hatten wir große Probleme. Zum einen weil wir die einzelnen Sportarten viel zu selten betreiben, zum anderen weil man mit einem völlig anderen Verhältnis von Ball und Schläger rechnen muss. Die Grenzen der einzelnen Sportarten verschwimmen hier miteinander. Um beim Racketlon zu gewinnen, muss man nicht nur alle vier Sportarten gut beherrschen, es kommt auch darauf an, mit der Umstellung der Schläger und Bälle klar zu kommen. Derjenige, der das am besten kann, gewinnt.
Racketlon ist ein Sport, der uns viel Spaß gemacht und uns an unsere persönlichen Grenzen gebracht hat. Racketlon hat uns gezeigt, dass sich unterschiedliche Sportarten über die eigenen Grenzen hinaus mit anderen Sportarten vermischen können.
Robert Buchholz & Jan Horstkötter
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