Nach seinem Bachelorabschluss in Sportpublizistik übernahm Tim Marcour die Position des Chefredakteurs beim alpinen Freeride-Magazin „Powder Magazin“. Das Thema Freeriding begleitet den 26-Jährigen nicht nur seit vielen Jahren in seiner Freizeit, sondern auch beruflich. Er produziert einen Großteil der Inhalte selbst und schafft so die Verbindung zwischen seinen zwei großen Leidenschaften, dem Freeriding und der Foto- und Videografie.
Was muss man sich unter alpinem Freeriding vorstellen?
Man bewegt sich hierbei off-pist, also abseits gesicherter Pisten im Gelände. Auch ist man hier sehr abfahrtsorientiert unterwegs – im Vergleich zum Freetouring und den klassischen Skitouren, wo ich den Berg hochgehe.
Gibt es beim Freeriding Gefahren und Risiken?
Risikomanagement ist eines der wichtigsten Themen beim Freeriding. Wenn ich mich außerhalb gesicherter Pisten bewege, gehe ich immer auf eigene Gefahr. Risikofaktoren gibt es sehr viele, es können zum Beispiel Lawinen abgehen, man kann abstürzen oder es kann zu Fels- und Eisstürzen kommen. Dazu kommt in unbekanntem Gelände auch die Gefahr, dass man sich verfährt und an Stellen rauskommt, an denen man nie rauskommen wollte. Verletzungen sind ebenfalls ein großes Thema. Wenn ich mich weit draußen befinde, muss ich mir auch die Frage stellen, ob ich überhaupt in der Lage bin, mir selbst oder anderen helfen zu können.
Seit wann bist Du bereits in den Bergen beim Freeriden unterwegs?
Ich bin früher Skirennen gefahren und da hatte ich meine ersten Begegnungen mit dem Freeriden. Mein Trainer war selbst viel im Gelände unterwegs und hat uns damals schon mit den Riesenslalom-Ski durchs Gelände gescheucht. Etwas später habe ich während meiner Skilehrerausbildung eine zweiwöchige Lawinenausbildung gemacht. Nach meinem Abitur war ich für ein dreiviertel Jahr in Kanada und habe da einen Winter verbracht, bei dem ich das alles für mich dann richtig entdeckt habe.
Gab es bei Dir bereits Situationen, in denen Du einer Gefahr spürbar ausgesetzt warst?
Klar, gab es die. Vor zwei Jahren waren wir in den Kitzbühler Alpen, das ist unser Hausberg. Hier haben wir früher trainiert, waren viel unterwegs und kennen das Gebiet dadurch in und auswendig. Ein besonderer Hang ist hier das Highlight. Eigentlich ist der komplette Hang nach Osten ausgerichtet und sehr windgeschützt. Dadurch ist er oft sicher zum Befahren. Dann dreht er aber auch noch etwas Richtung Norden auf und ist in Teilen weniger windgeschützt. Beide Faktoren erhöhen die Gefahr von Lawinenabgängen. Genau diesen Bereich musste ich für eine neue Line befahren und ich dachte mir schon, dass es nicht gut aussieht. Dann sind bei mir alle Alarmglocken angegangen und unmittelbar in dem Moment ist die Schneedecke um mich herum auch abgerissen. Deshalb muss man vor jeder Abfahrt seine Exit-Stellen genau planen, um eine Richtung im Kopf zu haben, in die man rausfahren kann. So lief es auch bei mir und ich konnte noch aus dem Schneebrett rausfahren, während alles neben mir abgerutscht ist. Das war ganz schön unheimlich, aber auch sehr lehrreich. Diese Dinge passieren, man muss aus seinen Fehlern lernen und die Situationen im Nachgang genau analysieren.
Trotz der Risiken gibt es für Dich einen Reiz, der Dich antreibt, das alles zu machen. Was ist Dein Reiz?
Den Tag mit Menschen in den Bergen zu verbringen. Einfach alles andere hinter sich lassen zu können und dann auch coole Abfahrten zu machen. Für mich ist die Komponente, das alles auf Fotos und Videos festzuhalten, super spannend. Natürlich muss man hin und wieder ein Risiko einkalkulieren, aber eben nur so viel, dass man es noch beherrschen kann. Aber ich strebe nicht danach, den maximal spannenden oder krassen Run zu fahren, um diesen Adrenalinrausch zu bekommen. Das Risiko auf sich zu nehmen, ist eher eine unausweichliche Begleiterscheinung, der man ausgesetzt ist und sie eingehen muss.
Du bist nicht nur in Deiner Freizeit in den Bergen unterwegs, sondern auch als Chefredakteur des „Powder Magazin“. Wie sieht der Umgang mit dem Thema Risikomanagement und der Kommunikation über diese Risiken im Magazin aus?
Im Magazin lassen wir diese Aspekte um höher, schneller, weiter komplett außen vor. Vor 15 Jahren war es noch so, dass derjenige, der die krasseste Line in Alaska gefahren ist und diese gefilmt hat, der Coolste war. Davon sind wir immer weiter abgekommen. Wir wollen mehr die Persönlichkeiten und die Reisen in den Vordergrund stellen. Wir wollen dem Leser Spaß an der Sportart vermitteln und das Bewusstsein für die Risiken schaffen, die es dort hat.
Du produzierst viele Inhalte selbst und möchtest das Beste bei Deiner Arbeit rausholen. Die Verantwortung, spektakulären Content zu liefern, betrifft Dich also von mehreren Seiten. Wird dadurch Druck aufgebaut?
Es zwingt einen natürlich in die Rolle, zu überlegen, was für unsere Leser das Wichtigste ist. Klar gibt es dann immer die Situation, dass man einen möglichst guten Shot hinbekommen möchte. Um den zu bekommen, muss man sich auch manchmal in Gefahr begeben. Aber es ist definitiv bei uns nicht so, dass man ein großes Risiko eingeht, nur um eine sensationelle Story zu produzieren. Man ist natürlich auch unter Druck, wenn man ein Wochenende in einem Gebiet ist, es ist alles organisiert und viele Leute erwarten einen großartigen Output. Aber diesen Druck darf man eben auf keinen Fall in sein Risikomanagement übertragen.
Auch junge und unerfahrene Alpinisten lesen Euer Magazin und verfolgen Eure Storys. Siehst Du Dich hier in der Vorbildfunktion – auch als Inspirationsquelle und Ideengeber?
So etwas muss jeder für sich, je nach individuellem Können und Fähigkeiten, selbst herausfinden und erlernen. Aber gerade durch die Geschichten, die wir publizieren, geben wir sicherlich eine Richtung vor und zeigen den Leuten, wie man sich am Berg bewegen kann. Bei einigen unseren Reise-Storys ist das Skifahren komplett nebensächlich, auch um zu zeigen, dass es für ein cooles Skierlebnis nicht ausschließlich darum geht, wie gut man hier Ski fahren kann, sondern dass es darum geht, mit Freunden zusammen zu sein, Landschaften zu erleben, Kulturen zu entdecken. Dass man dabei aber eine gewisse Verantwortung hat, muss immer im Kopf sein und wir wollen das dann lösen mit der Auswahl der Geschichten, die wir transportieren.
Welche Faktoren gilt es am Berg zu beachten?
Man informiert sich einige Tage vor der eigentlichen Tour detailliert über den Wetterbericht, d.h. die Temperaturschwankungen, Schneefall, Wind. Im besten Fall verfolgt man das alles bereits über die komplette Saison, weil es sein kann, dass sich durch besondere Wetterlagen schon im November instabile Schneeschichten gebildet haben, die sich den Winter über halten. Das nächste ist dann die Gruppe, mit der ich unterwegs sein werde. Können die mit ihrer Lawinenausrüstung, also LVS (Lawinenverschüttetensuchgerät, die Redaktion), Schaufel und Sonde umgehen und sind sie in der Lage eine Rettung zu organisieren. Auch die Gruppendynamiken, die auf einer Tour entstehen, sind Gründe, warum Unfälle passieren können. Oftmals sind top ausgebildete Leute zusammen unterwegs und gelangen sie in Gefahr, weil einer die Verantwortung auf den nächsten überträgt. Dies darf niemals passieren. Jeder ist in jedem Fall für sich selbst verantwortlich und muss für sich entscheiden. Direkt am Gelände, das ich befahren möchte, muss ich mir die Hangneigung anschauen und mir zusätzlich Informationen vom Lawinenwarndienst einholen, wie zum Beispiel die Schneedecke aufgebaut ist. Es ist durchaus mehr als nur die Skier ins Auto packen und losfahren. Ich sehe oft Leute, bei denen es klar ist, dass sie diese Informationen nicht eingeholt haben. Wenn du dieses Wissen nicht hast, begibst du dich in Situationen, die unheimlich gefährlich sind, obwohl du es gar nicht weißt.
Was ist die beste Strategie, um möglichst sicher am Berg unterwegs zu sein?
Man muss wissen, was gefährlich ist. Wenn ich diese Gefahren kenne und mit einem gesunden Menschenverstand handle, bin ich größtenteils schon auf der sicheren Seite. Hilfreich ist es auch viel unterwegs zu sein und bei verschiedenen Bedingungen Erfahrungen zu sammeln. Man lernt das meiste nicht vom Papier, sondern draußen am Berg. Auch auf Touren mit Bergführern nimmt man viel Neues mit. Aber auch hier gilt dann, sich nicht selbst zu überschätzen. Langjährige Erfahrung, die Bereitschaft dazuzulernen und sich Neues anzueignen ist der Schlüssel, um sicher unterwegs zu sein.
Interview von Alexander Sichler