„Tübingen unterscheidet sich sehr von Philadelphia. Ich habe Freunde, die tot sind. Andere sind im Gefängnis.“ Reggie Redding spricht sehr nachdenklich von seiner Heimat Nord-Philadelphia. Wenn er von seiner Heimatstadt erzählt, scheint er die ganze Welt auszublenden. Als wäre er auf die Straßen zurück versetzt, in denen er aufgewachsen ist. Doch so sehr er Philadelphia vermisst, es gab viele Kehrseiten dort aufzuwachsen. Denn der Basketballspieler der Walter Tigers Tübingen wurde in einer gefährlichen Gegend groß. 2011 wurden in Philadelphia 18.268 Gewaltverbrechen begangen – davon 324 Morde. Und das sind nur die Fälle, die der Polizei bekannt sind. Für viele Jugendliche ist Gewalt alltäglich. Philadelphia gilt als eine der gefährlichsten Städte der USA. Reggie Redding schaffte es, den sozialen Umständen zu entkommen.„Ich habe Basketball immer dazu genutzt, mich von diesen schlechten Einflüssen abzugrenzen.“ Der Sport kann nicht nur verbinden, sondern auch isolieren.
Dass junge Amerikaner Basketball spielen, ist nichts Ungewöhnliches und Philadelphia ist kein Einzelfall. Der große Traum von der National Basketball Association (NBA), der höchsten Spielklasse der Vereinigten Staaten, ist in den Köpfen vieler junger Amerikaner. Die Aussicht auf Ruhm und das große Geld lockt vor allem Heranwachsende aus den unteren sozialen Schichten. Sie haben oft Zukunftsängste. Der Traum von der NBA gibt ihnen Hoffnung. Vorbilder wie LeBron James oder Alan Iverson kämpften sich von ganz unten bis zur Spitze. Ganz nach dem Motto: Vom Tellerwäscher zum Millionär.
Für die meisten Jugendlichen reicht das Talent jedoch nicht zum millionenschweren NBA-Basketballstar. Doch der Sport verhilft oft zu anderen Möglichkeiten. So auch Reggie Redding. „Ich wäre wahrscheinlich nicht auf die Villanova University gegangen. Meine Noten in der High School waren zwar gut, aber meine Eltern hätten es sich nicht leisten können, mich dorthin zu schicken“, sagt der Forward des Tübinger Erstligisten. Aufgrund seiner sportlichen Leistungen erhielt er eines der etwa 138.000 Sportstipendien, die die National Collegiate Athletic Association (NCAA) jährlich vergibt. Die Stipendien ermöglichen es Sportlern mit schwierigem sozialem Hintergrund, auf ein College zu gehen. Oder auf ein besseres College, das sonst außerhalb der finanziellen Möglichkeiten läge. Über die NCAA werden in den USA nahezu alle Sportprogramme der namhaften Universitäten organisiert. Der Verband betreut die Athleten und hilft im täglichen Studentenleben. Dabei fällt der Spagat zwischen Lernen und Trainieren nicht nur den Sportlern schwer. Gerade die Trainer stehen im Zwiespalt. Sie haben einen großen Einfluss auf den Alltag der Studenten. Sie wollen ihre Spieler die meiste Zeit in der Halle sehen, dürfen aber deren akademischen Leistungen nicht außer Acht lassen. Es gehört mittlerweile zum Prestige eine Mannschaft zu haben, die nicht nur auf dem Feld, sondern auch im Hörsaal Leistungen bringt. Auch, weil eine Regel der NCAA besagt, dass die Studenten nur spielberechtigt sind, wenn sie einen gewissen Notendurchschnitt vorweisen können. Um beiden Karrieren bestmöglich zu verbinden, stellen die Colleges den Athleten Nachhilfelehrer zur Verfügung, die beim Nachholen des verpassten Stoffs helfen. Wenn ein Sportler diese Unterstützung von Trainern und College erfährt, ist das der Idealfall.
Es gibt aber auch Trainer, die sich nur für Basketball interessieren. Die Leidtragenden sind dann die Athleten. Denn die Professoren erwarten auch nach einem Auswärtsspiel, verbunden mit einer späten Heimkehr, dass am nächsten Tag alle Aufgaben erfüllt sind. Das in Hollywood-Filmen propagierte Klischee vom Sportler, der alle Freiheiten genießt und keine Pflichten hat, hat mit der Realität nichts zu tun. Ganz im Gegenteil.
Die Athleten haben durch die Doppelbelastung mehr Pflichten und weniger Freiheiten. Aber das System der NCAA funktioniert. Die Noten der Stipendiaten sind im Durchschnitt besser als die der restlichen Studenten.
In der NBA vor vielen Zuschauern zu spielen, das ist der Traum von vielen Jugendlichen aus den Ghettos. An den Stellenwert der NBA kommt College-Basketball nicht heran. Trotzdem ist er sehr populär in den USA. Viele Amerikaner mögen ihn, da noch keine horrenden Gehälter im Spiel sind und die Studenten für die Ehre ihrer Universität kämpfen. Außerdem bietet College-Basketball eine gute Bühne, um sich für weitere Aufgaben zu empfehlen. Gleich fünf Fernsehsender übertragen die Spiele der NCAA-Basketball-Runde (u.a. ESPN und CBS). Am Ende der Runde steht immer das Final Four an. Die letzten vier Mannschaften spielen an einem Wochenende um den Titel. Austragungsort sind dabei riesige Football-Stadien. Mindestens 70.000 Plätze muss ein solches Stadion haben. Das schreibt die NCAA vor. Für Spieler und Zuschauer ist das Final Four der Höhepunkt der College-Basketball-Saison. Wie beliebt College-Basketball ist zeigt die Zuschauerzahl des Finales von 2012. 70.719 Basketball-Begeisterte fanden den Weg in den Mercedes-Benz Superdome in New Orleans. Sie sahen wie Anthony Davis mit seinem Team den Pokal holte. Davis wurde danach Olympiasieger und ist der Nummer-Eins-Pick der NBA Saison 2012/2013.
Reggie Redding hingegen verbindet mit dem Turnier bittere Erinnerungen. Er musste sich 2009 mit seiner Villanova University dem späteren Turniersieger aus North Carolina geschlagen geben. Bis heute seine bitterste Niederlage.
Viel gewonnen hat er dafür neben dem Spielfeld. Mit Hilfe des Sports schaffte er es, sich aus seinem gewalttätigen Umfeld zu befreien und von schlechten Einflüssen abzugrenzen. Ein Weg, den seiner Meinung nach viele einschlagen sollten. „Jeder Amerikaner, der die Chance hat, eine solche Ausbildung umsonst zu bekommen und den Sport auszuüben den er liebt, sollte sie sofort nutzen.“ Reggie Redding nutzte die Chance, sein Leben zu ändern. Er kehrte der Stadt, die er so liebt, den Rücken und entschied sich für die Sportart, die ihm eine andere Welt öffnete. Dadurch lernte er das beschauliche Tübingen kennen – Gewaltverbrechen: 486.
Tim Brack
Den Trailer zum Beitrag gibt es unter: http://www.youtube.com/watch?v=7RE4NwL5-c4
- „Alles ins Gold!“ – Bogenschießturnier beim SV Derendingen ein voller Erfolg - 3. Juni 2014
- Die unbezahlten Profis? - 31. Januar 2014
- Racketlon – König der Rückschlagspiele - 16. August 2013