Musik habe Potenzial, meint Ulrich Conrady. Vor mehr als 25 Jahren begann der gelernte Elektriker zu forschen und mit Liedern und Klang zu experimentieren. Dabei entwickelte er die Audio-Visuelle-Wahrnehmungsförderung (AVWF).
Überall und für jede Situation gibt es passende Musik. Der Mensch hört sie ständig – ob zum Entspannen, Nachdenken, Motivieren, Trauern oder Feiern. Musik jeglicher Art wird jeden Tag zu jeder Zeit auf der Welt gehört. Dass sie Gefühle in uns auslöst und somit unser Inneres berühren kann, ist Vielen durchaus bewusst. Dass Musik jedoch in der Lage ist, den menschlichen Organismus derart zu stimulieren, dass das vegetative Nervensystem ins Gleichgewicht gebracht wird, hört sich zunächst suspekt an.
Ulrich Conrady glaubt an die Wirkungskraft von Musik. Vor mehr als 25 Jahren begann der gelernte Elektriker zu forschen und mit Liedern und Klang zu experimentieren. Dabei entwickelte er die Audio-Visuelle-Wahrnehmungsförderung (AVWF). Nachdem diese moderne Schalltherapie, die mit modulierten Musikstücken arbeitet, zunächst nur für die Behandlung mit Kindern vorgesehen war, die mit gestörtem Lern- und Sprachverständnis leben, betreut Conrady inzwischen auch viele Spitzensportler. Doch wie soll die AVWF-Methode funktionieren? Gibt es hierfür wissenschaftliche Belege oder ist es nur ein Placebo?
Conrady ist Vater eines Autisten. Sein Sohn, der unter frühkindlichem Autismus leidet, hat seit frühestem Kindesalter Konzentrations- und Verständigungsschwierigkeiten. Sämtliche Therapien brachten nur geringfügige Erfolge. Da Conrady die Behandlungsmethoden der Ärzte und Therapeuten immer mehr anzweifelte, beschloss er selbst nach einem neuen Weg zu suchen, um die allgemein kognitive Leistung seines Sohnes zu fördern. Dem Hobby-Forscher fiel die Neigung seines Sohnes zur Musik auf. Bereits mit drei Jahren konnte dieser mehr als 30 Liedtexte auswendig mitsingen. Dennoch blieb eine Verbesserung des Lernverhaltens nach Klang- und Schalltherapien unter ärztlicher Aufsicht aus. Daraufhin stellte sich Conrady die Frage, ob und welche Frequenzen in einem Musikstück Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben könnten. Er kam letztendlich zu der Erkenntnis, dass die Frequenz variiert werden muss, um ein positives Ergebnis zu erzielen: Durch die Modulation (Veränderung der Frequenz) kann das so bearbeitete Stück eine Stimulation im vegetativen Nervensystem bewirken. Auf diesem Weg entspannt sich der Körper, auch bessere und längere Tiefschlafphasen sind möglich. Dadurch steht dem Körper mehr Energie zur Verfügung und ein Leistungsanstieg im physischen als auch kognitiven Bereich ist möglich.
Die selbstentwickelte Schalltherapie zog solch einen positiven Effekt bei seinem Sohn nach sich, dass Conrady beschloss, als Lerntherapeut zu arbeiten und ein Zentrum zu eröffnen, in dem er Kinder mit seiner Schalltherapie behandelt, die mit Aufmerksamkeits- und Entwicklungs- und Lernstörungen leben. Das von ihm eröffnete AVWF-Zentrum sollte das erste von aktuell 29 in Deutschland, Österreich und der Schweiz sein. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Bandbreite der zu behandelnden Patienten von Kindern mit kognitiven Störungen hin zu Wachkomapatienten, Parkinson-Erkrankten, Menschen mit Depressionen oder Burn-out leidenden Personen bis hin zu Spitzensportlern. Verschiedenste Personen- und Altersgruppen nutzten bisher die Therapie.
Auch für Profisportler sei die Therapie laut Conrady ideal. Befindet sich der Mensch aufgrund von Dauerstress (im Sport etwa Erfolgsdruck) in ständiger innerer Alarmbereitschaft, so spricht man von einer permanenten sympathischen Regulierung im vegetativen Nervensystem. Entspannung ist kaum möglich. Dadurch verändert sich die Tiefensensibilität, sprich die Wahrnehmung bestimmter Reize aus dem Körperinneren. Der Körper ist somit anfälliger für Verletzungen. Zudem benötigen Bewegungsabläufe einen höheren Kraftaufwand und werden gröber. Auch Angst und Aggressivität sind oft Zeichen einer körperlichen Daueranspannung.
Die Lieder, die die Patienten in den 60-minütigen Sitzungen über große Kopfhörer hören, sind frei wählbar. Die Therapie dauert in der Regel zehn Tage. Während des Musikhörens kann der Patient lesen, ruhen oder Denk- und Lernspiele ausüben. Der Preis beläuft sich derweil auf rund 1.500€.
Markus Baur und die Handball-Nationalmannschaft von 2007
Der erste Profisportler, der von Conrady behandelt wurde, war der frühere Handball-Nationalmannschaftkapitän Markus Baur. Bei dessen Tochter wurde 2006 eine Lese- und Rechtschreibschwäche festgestellt. Conrady war damals Tennistrainer des Mädchens und bot daraufhin Markus Baur die AVWF-Methode in seinem Therapiezentrum an. Baur war interessiert und begleitete seine Tochter zu den Therapiestunden. Die behandelten Probleme seines Kindes lösten sich auf und die Schülerin brauchte die erste Klasse nicht wiederholen. Baur war nach der Therapie seiner Tochter begeistert und wollte die modulierten Musikstücke ebenfalls für sich nutzen. In einer ersten Untersuchung wurde festgestellt, dass Baurs Körper zu langsam sei und unzureichend regeneriert. Den Grund lieferten Hirnstrommessungen, die eine geringe Tiefschlafphase des heute 42-Jährigen aufwiesen. Auch das Blickfeld des Spielmachers war nicht stark genug ausgeprägt. Baur, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr verletzt gewesen war, machte während und nach der Therapie große Fortschritte. Er konnte besser schlafen und sein Heilungsprozess verkürzte sich aufgrund der intensiveren Erholung in der Nacht. Das vergrößerte Blickfeld konnte genutzt werden, um Spielsituationen präziser und genauer zu erfassen.
Der dreimalige Familienvater schaffte es anschließend die AVWF im Handball-Nationalteam zu etablieren. Sie war ab 2007 fester Bestandteil der Trainingsmethoden, die außerhalb des Spielfelds durchgeführt wurden. Zwar fand das Musikhören auf freiwilliger Basis statt, es wurde jedoch von einem großen Teil des Teams genutzt. Deutschland gewann im Jahr 2007 die Handball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Baur ist davon überzeugt, dass er und seine deutschen Mitspieler aufgrund der Schalltherapie stressresistenter gegenüber dem enormen Leistungsdruck waren, der von außen auf sie wirkte. „Das Gehirn funktioniert am besten, wenn es sich in einem sicheren Umfeld bewegt“, wird Baur in einem von Conrady 2011 veröffentlichten Buch zitiert. „Es war schwer, das in einer Halle mit 20.000 Menschen zu schaffen. Die Musik hat uns geholfen.“ Auch der damalige Bundestrainer stellte eine höhere Wahrnehmungs-, Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit einzelner Spieler nach dem modulierten Musikhören fest. Die innere Entspanntheit des Teams sowie in erster Linie dessen spielerische Qualität wurde mit dem Weltmeistertitel belohnt. Der mittlerweile als Junioren-Nationaltrainer aktive Baur absolviert momentan eine Ausbildung als AVWF-Neurocoach, um selbst sein Team behandeln zu können.
Gregor Schlierenzauer und die österreichische Skisprung-Nationalmannschaft
Nach der Handball-Weltmeisterschaft 2007 in Deutschland sprach sich Conradys AVWF-Methode in Spitzensportkreisen herum. Besonders durch den Film „Projekt Gold“, eine Dokumentation von Stephan Limbach, der das deutsche Nationalteam während des Turniers auf und neben dem Parkett begleitet hat, gelangte die Schalltherapie zu neuer Bekanntheit. So kam es, dass Conrady im Sommer 2008 von der österreichischen Skisprung-Auswahl engagiert wurde. Eine besondere Beziehung baute er zu Gregor Schlierenzauer auf, dem aktuell besten Skispringer der Welt. Der Vierschanzentournee-Sieger von 2011/2012 und 2012/2013 zog sich nach der Saison 2008/2009, in der er insgesamt 13 Weltcup-Siege (Rekord) einfuhr, einen Innenbandriss im Knie zu. Nachdem er wieder ins Training einstieg, war er sehr verunsichert, was sich bei seinen Bewegungsabläufen zeigte (insbesondere der Landung). Die AVWF-Methode half ihm innerhalb kürzester Zeit, wieder sichere Sprünge und saubere Landungen abzuliefern. Bereits nach drei Schalltherapie-Stunden setzte der zweimalige Juniorenweltmeister bei den Landungen wieder einen Telemark und machte sich während der Flugphase keine Gedanken mehr, wie er sich beim Landen verhalten müsse.
Inzwischen nutzen immer mehr Spitzenathleten aus verschiedensten Sportarten die AVWF-Methode, dennoch gibt es viele Kritiker.
Als „blanken Unsinn“ bezeichnet der Erlanger Neurobiologe Ralph Dawirs AVWF in einem Bericht der Frankfurter Rundschau und „die Methode ist Geschäftemacherei mit der Not hysterisierter Eltern“. Auch Lehrerverbandspräsident Josef Kraus wird mit dem Wort „Geschäftemacherei“ zitiert. Im Interview mit der FR warnt er: „Die Schulen sollten sich hüten, diesen Neuro-Gurus auf den Leim zu gehen.“
Die aufgezählten Leistungen und Erfolge der Spitzensportler sind allesamt beeindruckend. Doch stellt sich die Frage, ob und inwieweit Conrady und dessen entwickelte AVWF-Methode einen Anteil am guten Abschneiden der Profisportler hat. Dass in erster Linie das Talent des Athleten, dessen Förderung, der Trainingsfleiß und die professionelle Einstellung zum Sport von Bedeutung sind, um Siege feiern zu können, steht außer Frage. Conrady wertet zudem die immense Bedeutung der sportpsychologischen Betreuung nicht ab, auch oder eben weil seine Behandlung laut eigener Aussage nicht auf psychischer sondern auf neuronaler Basis beruht. Diese biologische Begründung klingt logisch- trotzdem bleibt ein gewisser Zweifel an der Wirkung der Schalltherapie aufgrund der anhaltenden Kritik. Solange Conrady seine Aussagen nicht mit wissenschaftlichen Studien belegt, wird sie auch nicht verstummen. Doch können so viele Profisportler etwa einem Placebo-Effekt unterliegen? Die immer wiederkehrenden gleichen Berichte von intensiveren und längeren Tiefschlafphasen, höherem Konzentrationsvermögen, innerer Entspanntheit und besserem Umgang mit Drucksituationen sprechen für eine Stimulation des Organismus durch AVWF.
Ganz abgesehen von den Erfolgen der Spitzensportler sind auch die persönlichen Berichte einzelner Patienten außergewöhnlich. Auf der Homepage der AVWF-Methode wirbt Conrady mit einem Video, in dem von einer Patientin erzählt wird, die nach einem Autounfall zwei Wochen im Koma lag. Nach Beendigung der Reha war die Reizaufnahmefähigkeit des Unfallopfers immer noch sehr eingeschränkt. Erst durch AVWF verbesserte sich der Zustand der Patientin und Fortschritte in der Motorik und im kognitiven Bereich waren festzustellen.
Eine eindeutige Aussage, ob oder wie positiv die Schalltherapie Conradys sich auf den Körper auswirkt, kann (noch) nicht getroffen werden. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass sämtliche Erfolge, die mit AVWF in Verbindung gebracht werden, gänzlich unabhängig von der Therapie entstanden sind.
Jan Götze
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