„Für den perfekten Rasen gibt es kein Geheimnis“, sagt Nicola Tenace, Platzwart des VfB Stuttgart. Der 65-jährige Neapolitaner kümmert sich seit mehr als 15 Jahren um die Fußballplätze des Bundesligisten. Tenace kann nicht nur mähen, Linien ziehen und vertikutieren, sondern auch kochen, den Nikolaus spielen und den italienischen Spielern ein wenig Heimat vermitteln.
Auf dem Balkon seiner Wohnung in Stuttgart-Bad Cannstatt, nicht weit vom Vereinsgelände des VfB Stuttgart, kümmert sich Nicola Tenace um seinen Olivenbaum. Der macht keinen Ärger, gibt dem Süditaliener ein Gefühl von Süden im momentan so kalten Deutschland und ist sehr pflegeleicht. „Bei der nächsten Wohnungssuche halte ich vielleicht Ausschau nach einem Garten. Aber im Moment reichen mir mehrere Fußballplätze“, sagt er.
Nicola Tenace ist Platzwart beim Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Er kümmert sich zusammen mit vier Kollegen um sieben Rasenplätze. „Im Winter müssen wir kämpfen“, sagt er, „die Profis und Trainer wollen immer einen schönen Platz haben, ohne Löcher, ohne nix.“
Tenace ist seit 1997 beim VfB. Zuvor war er, nachdem er aus Süditalien nach Deutschland gekommen war, 20 Jahre bei der US-Army angestellt. Als die Army aus Stuttgart abzog, war er arbeitslos. „Mit Hilfe eines Freundes bin ich zu einem Vorstellungsgespräch beim VfB gekommen“, erzählt der Italiener. Die erste Frage war: „Sind Sie Fußballfan?“ „Selbstverständlich“, antwortete Tenace. Er hatte früher selbst hobbymäßig Fußball gespielt. Die gleiche Antwort gab er auf die Frage, ob er mit Maschinen umgehen könne. Er bekam den Job und kümmert sich beim VfB Stuttgart seit nunmehr 15 Jahren um den Fußballrasen – und ab und an um das leibliche Wohl von Spielern und Trainerstab. In der an die Gerätegarage anschließenden Gaststätte „Da Nicola“, einem kleinen Zimmer, kocht der Platzwart italienisch. Spaghetti Bolognese.
In seiner Zeit beim VfB hat sich Nicola „Nico“ Tenace einen Namen gemacht. Er ist das Gesicht, das von einer Bier-Werbeanzeige im Stadionheft strahlte. Und er gehört zu denen, die am Abend vor den Heimspielen die weißen Linien auf den Rasen in der Mercedes-Benz Arena malen. Schnurgerade. Die Kreise wie mit dem Zirkel gezogen. „Das ist der Trick“, sagt er und lächelt, „wir spannen Schnüre. Aber trotzdem – ohne Erfahrung und Übung werden die Linien krumm.“ Auf dem Trainingsplatz müssen die Spielfeldbegrenzungen alle zwei Tage nachgezeichnet werden. Eine Schnur wird ungefähr jedes siebte Mal verwendet. „Da müssen die Linien nicht absolut perfekt sein.“ Ob ihm als Stadionbesucher von der Tribüne aus auffallen würde, wenn die Linien mal nicht gerade sind? Der 65-Jährige lacht und antwortet: „Gibt es nicht. Die sind so gerade, dass man nichts erkennt. Da bin ich Perfektionist.“
Diesen Anspruch haben die Platzwarte auch beim Rasen – ob auf dem Trainingsplatz oder in der Mercedes-Benz Arena. In der kalten Jahreszeit wird die Liebe zum Beruf auf die Probe gestellt. „Der Winter“, weiß Tenace, „ist definitiv anstrengender für uns und den Rasen. Das Gras wächst bei der Kälte einfach schlechter.“
Zwar nimmt die Rasenheizung, die bis vier Grad heizt, Tenace und seinen Kollegen meist das Schneeschippen ab, doch was nach Heimspielen und Trainingseinheiten unter dem Schnee hervorkommt, ist das Ächzen des strapazierten Grüns. „Zuerst fangen wir an, die Löcher zuzumachen.“ An den Seitenlinien und im Warmlaufbereich neben den Toren wird der Rasen rasch zum Acker. „Dann wird belüftet und Sand eingestreut.“ Im Anschluss belichten die Platzwarte den Rasen. Lichttherapie nennt sich das. Eine niederländische Firma entwickelte fahrbare Gerüste, an denen unzählige Lampen montiert sind. Deren goldgelbes Licht scheint in der dunklen Jahreszeit rund um die Uhr und verstärkt die Photosynthese. Die Graswurzel wächst bei Wärme schneller, regeneriert sich besser. Zwei bis drei Tage in einer Englischen Woche würden nicht genügen, damit sich das Geläuf erholt – genauso wenig wie sie einem Profi zur Regeneration reichen.
Momentan liegt in der Arena noch der erste Rasen der aktuellen Saison, die im August 2012 begann. Ziel ist es, das Grün möglichst selten auszutauschen, denn ein neuer Rasen ist teuer. Eine Herausforderung, die größer wurde. Denn seit dem Umbau des Stadions in eine reine Fußballarena bekommt das Spielfeld noch weniger Sonnenlicht. Das Stadiondach wurde um vier Meter verlängert, die VfB-Platzwarte mussten ihre Arbeit umstellen.
Über die Jahre hat Tenace eine Beziehung zum Rasen aufgebaut: „Wir arbeiten jeden Tag zusammen. Ich habe Seminare belegt, in denen ich gelernt habe, welche Düngung, welche Samen ich verwenden muss. Ich bin immer da für den Rasen.“ Dennoch sind die Fußballer mit dem Rasen manchmal nicht zufrieden. „Wenn es bei einem Verein sportlich schlecht läuft, wird auch der Rasen kritisiert“, beschreibt Tenace. Anders herum genauso. Wenn es sportlich gut läuft, beschwert sich keiner. „Aber wir können das nicht beeinflussen. Der VfB Cheftrainer Bruno Labbadia jedenfalls ist zufrieden mit unserer Arbeit.“ Und wenn die Platzwarte den Rasen doch mal nicht so gut hinbekommen? „Ich denke, wir müssen das akzeptieren. Manchmal bin auch ich nicht so gut drauf. Wir sind Menschen wie Schiedsrichter und Spieler. Ein Priester kann am Altar auch Wein und Wasser falsch zusammenmischen. Jeder kann Fehler machen. Umso mehr freuen wir uns über ein Kompliment vom Trainer.“
Die berühmte Nagelschere kommt bei der Rasenpflege indes nur selten zum Einsatz. „Rund um die Torpfosten ab und zu, aber auch dafür gibt es inzwischen Maschinen“, sagt Tenace, dem das Mähen am meisten Spaß macht: „Aber auch nur im Sommer, wenn Gras da ist.“ Die für das Auge verschiedenen Grüntöne verleiht Tenace dem Rasen durch eine Walze am Rasenmäher, die das Gras in unterschiedliche Richtungen biegt, während es auf exakt drei Millimeter gestutzt wird. Letztendlich hat das Gras nur eine Farbe, doch die durch das Walzen entstehenden Lichtreflexionen sorgen für eine optische Täuschung. „Früher gab es viele verschiedene Muster, heute ist das in den Stadien wegen der Abseitsregel fest vorgegeben“, sagt der Greenkeeper. Bei seiner Lieblingsbeschäftigung saß er schon als Nikolaus verkleidet auf dem Rasenmäher. „Irgendwo habe ich dieses Kostüm gefunden. Und dann kam mein Namenstag. Unsere Presseabteilung hat mich gesehen und Fotos gemacht.“ Tenace schmunzelt. „Ja, ich habe viel Spaß bei meiner Arbeit.“
Mit Verteidiger Cristian Molinaro und dem jungen Stürmer Federico Macheda sind zwei Landsleute unter Stuttgarters Profis. Molinaro kommt – wie Tenace – aus Süditalien. Fast jeden Tag reden die beiden miteinander. Auch andere Spieler kamen nach dem Training schon zu ihm und sagten, es sei ein „Scheiße Platz“ heute. „Aber sie machen nur Spaß, das weiß ich ganz genau. Das sind alles gute Jungs“. Sein Lieblingsspieler ist Serdar Tasci, den kennt Nicola Tenace schon seit dessen Zeit in der VfB-Jugend.
Von den Ehemaligen ist Tenace einer besonders im Gedächtnis geblieben: Giovanni Trapattoni. „Trap war ein Meister auf dem Trainingsplatz. Er ist immer mit den Jungs gelaufen, auch mit 70 Jahren noch. Er hatte seine eigenen Ideen. Schade, dass er nicht so lange da war.“
Einen Leitfaden haben die Platzwarte bei ihrer Arbeit nicht. „Das Wichtigste ist, dass die Plätze gut sind“, erklärt Tenace. Sein „Capo“, der Chef, sagt morgens, wie das Team zu arbeiten hat. Oft hängt die Arbeit vom Wetter ab: „An einem verschneiten Tag kann ich nicht mit schweren Maschinen auf die Plätze, sonst hinterlasse ich Spuren.“ Konkurrenz herrscht, wie bei den Teams, auch unter den Platzwarten der verschiedenen Vereine. „Jeder von uns schaut sich im Fernsehen die Plätze der anderen Mannschaften an“, sagt der Italiener, „bei Lazio Rom beispielsweise war der Platz im Europa League-Sechzehntelfinale gegen Borussia Mönchengladbach nicht besonders gut.“
Den besten Fußballrasen gibt es nicht in Italien, sondern „ganz klar in England, das liegt vermutlich am Klima“, meint Tenace. Beim Afrika-Cup hingegen seien die Plätze „nur noch aus Sand“. Kunstrasen ist keine Lösung, wenn es nach dem 65-Jährigen geht. „Als Spieler würde ich nie auf Kunstrasen spielen, viel zu hohes Verletzungsrisiko. Echter Fußball wird auf echtem Rasen gespielt.“ Auch die Mischung macht es nicht. Wolfsburg und Hoffenheim experimentieren mit einer Synthetik-Rasenmixtur, sind jedoch nicht zufrieden. „Solange das Klima in Stuttgart in Ordnung ist, braucht man keinen Kunstrasen“, erklärt Nicola Tenace. Das künstliche Grün hält er nur in kälteren Gegenden für sinnvoll. Genauso wie Rudi Völlers Vorschlag, eine längere Winterpause einzuführen – Tenace: „In Russland, wo richtig Winter ist, kann man sich das überlegen.“
Ende Februar ist Nicola Tenace 65 Jahre alt geworden – und hat mit dem Europa League-Achtelfinale gegen Lazio Rom ein Wunschgeschenk bekommen. Er hat nochmals um ein weiteres Jahr beim VfB verlängert, dann geht er in Rente. „Aber wahrscheinlich kann ich es nicht lassen und komme auch dann für ein paar Stunden am Tag vorbei. Noch bin ich fit. Und ohne Fußball geht es einfach nicht“, sagt er scherzhaft. „Na ja, es geht schon ohne, muss aber nicht!“
Laura Knöll & Maximilian Länge
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