American Football erlebte in den vergangenen Jahren in Deutschland einen unglaublichen Aufschwung. Durch die Global Games, bei denen Spiele der nordamerikanischen Profiliga (NFL) auf anderen Kontinenten ausgetragen werden, sowie die latenten Gerüchte um eine eigene, in London ansässige Franchise wurden auch europäische Zuschauer auf die spektakuläre Sportart jenseits des großen Teichs aufmerksam. Die TV-Quoten von „America‘s Favorite Sport“ beim ProSiebenSat.1-Format ran NFL schossen im deutschsprachigen Raum in Sphären vor, von denen keiner der Beteiligten je zu träumen gewagt hätte. Mit dem Streaming-Portal DAZN kam in der vergangenen Saison ein weiterer Anbieter mit NFL-Übertragung hinzu.
Bleibt die Frage, ob sich die Zeit des wohl brutalsten Ballsports nicht allmählich dem Ende zuneigt. Zwar sprechen die Quoten in Deutschland dagegen und auch im Land der Stars and Stripes ist der Sport mit dem Leder-Ei so wenig aus Kultur und Gesellschaft wegzudenken wie Joe Montana aus der Hall of Fame. Aber in Zeiten des steigenden medizinischen Knowhows mehren sich Stimmen, die Gefahren des Sports anprangern und dessen Sinn hinterfragen. Bob Ryan, Kolumnist des Boston Globe, stellte schon vor drei Jahren die These auf, dass Amerikas Mütter dem American Football den Garaus machen könnten. Einfach nur dadurch, dass sie ihren Söhnen die Erlaubnis verwehren, Schulterpanzer und Helm überzustreifen. Sicher, nach diesen drei Jahren macht die NFL mehr Umsatz als je zuvor, trotzdem ist die Auseinandersetzung mit dem Sport und seinen Gefahren gestiegen.
Football ist mehr als ein Vollkontaktsport. Football ist ein Kollisionssport. Und Zuschauer ergötzen sich daran, wie 150-Kilo-Kolosse sich mit extremen Geschwindigkeiten gegenseitig von den Beinen holen. Die moderne Form von Brot und Spielen. Gladiatorenkämpfe der Neuzeit – Verletzungsrisiko: 100 Prozent. Wer diesen Sport hauptberuflich betreibt, der nimmt Kollateralschäden in Kauf. Knochenbrüche und Bänderrisse gehören zur Tagesordnung. Richtig gefährlich wird es allerdings, wenn die Tackles in Richtung Kopf gehen, denn bei Gehirnerschütterungen wird der Preis erst nach der Karriere gezahlt.
Zahlreiche Selbstmorde früherer Heroen des Sports und Berichte über zunehmende geistige Verwirrung, Alzheimer oder Persönlichkeitsstörungen bereits mit Mitte 40 sensibilisieren für das immense Risiko, das American Football mit sich bringt. CTE heißt dabei das größte Schreckgespenst, das durch die NFL und die College-Liga NCAA geistert. CTE steht für Chronisch Traumatische Enzephalopathie. Bei ihr vernarbt das Hirngewebe, bis schließlich nur noch ein Klumpen übrig ist. Bei einer hohen Zahl der Suizidanten früherer NFL-Athleten wurde CTE festgestellt.
Trotzdem müssen wir uns die Frage stellen, ob professionelle Footballspieler wirklich zu bemitleiden sind. Vor dem Superbowl 2014 antworteten 85 Prozent der Spieler auf die Frage, ob sie trotz Gehirnerschütterung am Superbowl teilnehmen würden, mit Ja. Nur einige Ausnahmen wie das ehemalige Top-Talent Chris Borland belegen, dass möglicherweise ein Umdenken bei NFL-Spielern stattfindet. Borland hatte bereits mit 24 Jahren seine Football-Schuhe an den Nagel gehängt – aus Angst vor jenen Langzeitschäden.
Die Liga ist sich dem Problem nach anfänglicher Verharmlosung mittlerweile bewusst. Ihre Schutzmaßnahmen werden allerdings mehr schlecht als recht umgesetzt. Neben Regeländerungen, die Hits gegen den Helm zwar verringern, aber keinesfalls ganz abstellen, ist eine weitere Neuerung der Liga das sogenannte Concussion Protocol. Eine Schutzmaßnahme, bei der Athleten, die während des Spiels eine Gehirnerschütterung erleiden, erst dann wieder aufs Spielfeld zurückkehren dürfen, wenn sie von einem neutralen NFL-Arzt die Erlaubnis erteilt bekommen. In der Theorie eine gute Lösung. Praktisch ist jedoch fraglich, ob diese Regelung immer eingehalten wird, denn das große Geld wird nur verdient, wenn auch wirklich die besten Spieler auf dem Rasen stehen. Damit die NFL wirklich zum Handeln gezwungen ist, müsste vermutlich eine externe Kraft massiven Druck auf die Organisation ausüben.
Mütter Amerikas: It’s up to you!
Marius Rinkel
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